„Seit einigen Wochen hat sich der politische Horizont mit dunklem Gewölk bezogen. Zuerst kamen die starken Pferdeankäufe für französische Rechnung, welchen die deutsche Regierung ein Ausfuhrverbot entgegenzusetzen wußte. Dann wurde man aufmerksam auf die starke Vermehrung der Cadres des französischen Heeres, welche die Nationalversammlung zu Versailles, wie absichtlich versteckt zwischen die Verhandlungen zur Begründung der neuen Verfassung, beschloß.“
Am 9. April 1875 erschien in der regierungsnahen Berliner Zeitung Die Post anonym ein Artikel, der mit Vermutungen und Unterstellungen gespickt war. Betitelt war er mit einer Frage, die in der in- und ausländischen Öffentlichkeit eher als Drohung verstanden wurde: „Ist der Krieg in Sicht?“. Der Text sollte als Auslöser der schwersten außenpolitischen Niederlage Otto von Bismarcks in die Geschichte eingehen. Kurz nach der Veröffentlichung wurde Constantin Rößler als Verfasser bekannt. Für die Öffentlichkeit dürfte dies keine große Überraschung gewesen sein, hatte er sich doch längst einen Namen als engagierter Verfechter der Politik des Reichskanzlers gemacht.
Rößler wurde vor 200 Jahren, am 14. November 1820, in Merseburg als Sohn des Diakons an der Stadtkirche St. Maximi geboren. Nach dem Studium der Fächer Theologie, Philosophie und Staatswissenschaften schrieb er seine Doktorarbeit über den Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi. Im Revolutionsjahr 1848 habilitierte er sich in Jena und begann, als außerordentlicher Professor zu lehren. In den folgenden Jahren aber wurde die deutsche Einheit zu seinem Lebensthema und so verzichtete er 1860 auf eine akademische Laufbahn, um als freiberuflicher Publizist für das von Bismarck geführte preußische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und später für das neugegründete Auswärtige Amt zu arbeiten. Initiiert wurden seine Veröffentlichungen in einer Abteilung, die sich – ähnlich wie das Literarische Büro des Innenministeriums – um eine Beeinflussung der (nun auch ausländischen) Presse kümmerte. Erzielt wurde dies nicht nur über den Aufbau enger Kontakte zu Verlegern, sondern auch durch Subventionen von Zeitungen und die direkte Bezahlung einzelner Publizisten.