Schlagwortarchiv für: Bismarckierung

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Freitag, den 03. Juni 2016 um 10:48 Uhr

Das glauben Sie nicht? Oder Sie halten die Schlagzeile für eine Überschrift aus dem Jahr 2050, wenn das Beispiel Baden-Württembergs vielleicht der bundesdeutsche Normalfall geworden sein wird? Dann schauen Sie mal nach Würzburg.

Dort gibt es seit dem Jahr 1900 einen Bismarckturm (s. unser Bild). Das fanden zwei grüne Stadträtinnen zu wenig und haben für eine Erweiterung des Ehrregimes gesorgt. Unterhalb der Festung. Dort hat die Pflege einer Städtepartnerschaft durch die engagierten Lokalpolitiker zu einer neuen Bismarck-Benennung im öffentlichen Raum geführt.  Dass es bei der außerwöhnlichen Gestaltung einer Grünfläche nur mittelbar um Bismarck geht, geben wir gern zu.

Im Ergebnis bleibt aber festzustellen, dass der Name Bismarck hier neu in die Landschaft eingeschrieben wurde. Auf unverkrampfte Art und Weise. Über postkoloniale Geschichtsbilder und sich überlagernde oder sogar schneidende Ebenen von erinnerungskulturellen Versatzstücken tansanischer und mainfränkischer Geschichte könnte die Wissenschaft hier detaillierte Ausführungen folgen lassen. Tut Sie vielleicht auch später noch. Aber lesen Sie in der Main-Post doch zunächst einmal selbst, worum es geht.

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Freitag, den 27. Mai 2016 um 08:49 Uhr

Bismarck mit „C“ oder ohne, also „Bismark“? Woran Schüler schon mal verzweifeln, war einst auch dem bekanntesten Namensträger nicht ganz klar. Schließlich wechselte auch Otto von Bismarck bis in seine 30er Jahre immer mal wieder die Schreibweise des eigenen Namens. Danach legte er sich auf die längere Version fest, ganz im Gegensatz zu einem uralten Gutsnamen in der Altmark, der noch heute „Bismark“ geschrieben wird.

Aber egal, worum es hier mit einem Schmunzeln geht, ist die kanonisierte Schreibweise des kanonisierten Reichsgründers. Und zu der gehört seit 150 Jahren natürlich das „c“ vor dem „k“. Oder eben auch nicht, wie man vor kurzem in Aachen erleben durfte. Der Inhalt eines Artikels aus den Aachener Nachrichten soll hier nicht nacherzählt werden, sonst ginge die schöne Pointe verloren, die in der Unschuldsbekundung des städtischen Presseamtes steckte.

Was Bismarck dazu gesagt hätte? Nun, der hatte ohnehin seine Probleme mit Aachen gehabt, wo er eine glück- und antriebslose Phase seiner Referendarzeit verbrachte. Für die dabei an den Tag gelegten Leistungen hätte man sicher keine Straße nach ihm benannt. Dass pasierte erst später, und eine Bismarck-Säule gab es noch dazu, s. Abb.

Zum Artikel geht es hier. Viel Spaß beim Lesen!

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Montag, den 23. Mai 2016 um 08:25 Uhr

Der Mai ist der Monat der Rhododendron-Blüte. Das wissen nicht nur die Spezialisten der Deutschen-Rhododendron-Gesellschaft, sondern alle Gartenbesitzer und Parkbesucher. Überall zwischen Hochgebirge und Küstenlandschaften blühen jetzt gerade die Rhododendren. Natürlich nur auf der Nordhalbkugel der Erde.

Die Pflanzengattung aus der Familie der Heidekrautgewächse umfasst ungefähr 1000 Arten mit einer schier unübersehbaren Anzahl von Sorten. Kein Wunder also, dass im großen Kategorisierungszeitalter, dem langen 19. Jahrhundert der europäischen Weltentdeckung und Weltverzeichnung, auch eine Sorte nach Otto von Bismarck benannt wurde. Zugegeben, sie wurde nicht im klassischen Sinne „entdeckt“, sondern gezüchtet und dann benannt, aber wen stören denn Details? Wichtig ist in historischer Perspektive die Benennung an sich.

Den botanisch festgeschriebenen Namen Bismarck trägt das Gewächs nämlich seit dem Jahr 1900, also zwei Jahre nach dem Tod Bismarcks. Der Kult um den Reichsgründer steuerte damals auf seinen Höhepunkt zu und Straßen, Plätze, Gebäck- und Heringszubereitungen wurde nach ihm benannt. Warum also nicht auch eine Rhododendronart? Zu finden ist die besonders winterharte, dafür langsam wachsende, „großblumige Hybride“ überall in den gemäßigten Breiten. 116 Jahre nach ihrer Züchtung hat die Globalisierung sie womöglich aber auch in den Tropen heimisch werden lassen. Hinweise dazu sind uns sehr willkommen, vielleicht sprießt und gedeiht der Bismarck-Rhododendron ja auch unmittelbar neben einer Bismarck-Palme, einer endemischen Art auf Madagaskar?

Unser Exemplar mit der lehhreichen Beschriftung wächst jedenfalls im grünen Hamburger Stadtpark, wo es einen ganzen Rhododendron-Pfad gibt.

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Montag, den 04. April 2016 um 13:25 Uhr

Eben lesen wir: Im Weißenfelser Bismarck-Turm ist eingebrochen worden. Sammler von Bismarck-Kitsch und Nippes und besonders an regionalen Bismarck-Erinnerungen Interessierte möchten wir nachdrücklich darauf hinweisen, dass es sich bei unter der Hand angebotenen Gegenständen mit Weißenfels-Bezug um Hehler-Ware handeln kann.

Wie Bismarck auf den Diebstahl reagiert hätte, zeigt die Abbildung, der Langfinger sollte sich also besser bald stellen.

Genannt sind entwendeten Objekte in einem Artikel im Naumburger Tageblatt.

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Montag, den 21. März 2016 um 11:17 Uhr

Landauf, landab stehen in Deutschland Bismarck-Denkmäler. Dem verehrten Reichsgründer wurden schon zu Lebzeiten Denkmäler gesetzt wie sonst nur den Diktatoren des 20. Jahrhunderts. Der gravierende Unterschied: Die Bismarck-Ehrungen im öffentlichen Raum waren keine staatlich-politischen Maßnahmen (die Verwaltungen der Kommunen begleiteten sie allenfalls wohlwollend), sondern sie entstanden aus „zivilgesellschaftlichem“ Engagement heraus.

Unter den unterschiedlichen Anhängern des Kanzlers fanden sich in den Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg überall Enthusiasten, die Denkmalserrichtungen initiierten und begleiteten (ganz ähnlich war es auch im Falle der Bismarck-Türme und -Säulen).

Arte erinnerte im Januar in seinem deutsch-französischen Kulturmagazin Karamabolage an diese noch heute sichtbare Form der Politikerverehrung. Ob man aus der vielerorts nur noch recht oberflächlichen Fortexistenz der Denkmäler zu dem Schluss kommen muss, dass der Bismarck-Kult in Deutschland noch andauert, ist Geschmackssache. Aus französischer Sicht mag die schiere Tatsache der vielen Denkmäler so anmuten. Als „Inventar“ deutscher Erinnerungslandschaften ist Bismarck aber schon längst profanisiert und entmythifiziert.

Wenn es den Kult also noch gibt, dann doch in deutlich gewandelter Form als Rest der einstigen Heldenerzählung. Zahlreiche Beispiele für diese Tendenz finden sich in unserem Online-Projekt BISMARCKIERUNG. Auch die bei Karambolage zusammengestellten Türme.

Vielen Dank jedenfalls an ARTE für das Aufgreifen dieses im deutsch-französischen Verhältnis lange nicht selbstverständlichen Themas!

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Montag, den 29. Februar 2016 um 11:45 Uhr

Der Bismarck-Kult des späten Kaiserreichs trieb bekanntlich merkwürdige Blüten. Neben den zahlreichen Denkmälern und Türmen, die ihm zu Ehren errichtet wurden, oder den Straßen und Plätzen, die nach ihm benannt wurden, gab es vielgestaltige andere Ehrungen im öffentlichen Raum. Eine besondere Gruppe sind die Büsten an Gebäudefassaden. Diese gab es an öffentlichen Gebäuden, wobei das affirmative Anliegen durch die staatsnahe Platzierung gewissermaßen obrigkeitlich inszeniert und approbiert war. Aus heutiger Sicht eigenartige Kontexte dieser Ehrungen boten Bibliotheken. So wurde die Büste des Reichsgründers über dem Portal der 1915 eröffneten Deutschen Bücherei in Leipzig neben denen Gutenbergs und Goethes anegebracht. Der Bezug der letzten beiden zur Nationalbibliothek des Deutschen Reiches ist erkennbar über die Gegenstände Buch und Dichtung; Bismarck steht neben ihnen primär für die Gründung des Deutschen Reiches, die die Grundlage für den Bau einer National- „Bücherei“ war.

So dachte ich zumindest bisher. Nun lässt eine Zusendung von Julius Jansen aus Tübingen aber noch eine andere Assoziation zu. In der schwäbischen Universitätsstadt wurde der Kanzler nämlich auch an der Schauseite einer Bibliothek angebracht, allerdings dezidiert in der Rubrik „Denker“.

Bismarck befindet sich dort in bester Gesellschaft mit Kant, Leibniz, Luther, da Vinci und Plato. Neben diesen gibt es noch eine Gruppe von Dichtern: Homer, Dante, Shakespeare, Goethe, Schiller und – in Schwaben unvermeidbar – Uhland.

An den Hauswänden privater Gebäude ist der Kanzler a.D. in der Regel nicht Teil einer größeren Figurengruppe. Hier findet er sich entweder als solitäre Büste (etwa in Dresden am Körnerplatz 2, an der Regerstraße 24 oder als Medaillon an der Weißeritzbrücke in Löbtau) oder in dem ihm angestammten politisch-monarchischen Milieu Preußens neben Königen und Militärs (etwa in Merseburg in der Straße „Weiße Mauer 18“).

Kennen Sie weitere Bismarck-Applizierungen an Fassaden und die Geschichten dahinter? Dann schreiben Sie uns, wir sammeln diese Kuriosa der Politikerverehrung des Kaiserreichs in unserem Projekt Bismarckierung und veröffentlichen Sie in losen Abständen auf unserer Homepage.

Unsere Abbildung zeigt Bismarck am Tübinger „Bonatzhaus“, (wikicommons).

Der Vater Ernst von Weizsäcker diente als junger Beamter bis 1918 noch im kaiserlichen Auswärtigen Amt Bismarcks. Richtig Karriere machte er aber erst danach, im eigentlichen Sinne erst nach 1933. Sein 1920 geborener Sohn Richard half ihm dann nach dem Zweiten Weltkrieg bei seiner Verteidigung im Wilhelmstraßenprozess, in dem seine Verwicklungen als NS-Diplomat im Italien angeklagt waren. Vorher hatte der Junior begonnen Jura zu studieren und damit er das tun konnte, musste er noch vorher die Hochschulreife erworben haben.

Diese erlangte er 1937 am Wilmersdorfer Bismarck-Gymnasium, einer bei der politischen Hautevolee beliebten höheren Schule Berlins (heute Goethe-Gymnasium). Nachdem der Vater den Prozess hinter sich hatte, studierte der Sohn zu Ende. Und wurde am Ende einer politischen Laufbahn als elder Statesman einer der prägendsten Bundespräsidenten. So ist die verbreitetste Lesart, die allerdings eine Lücke hat.

Denn Richard von Weizsäcker verbarchte die ersten Berufsjahre als promovierter Jurist (Göttingen 1951) im Wirtschaftswunder-Deutschland in der Industrie. Und diese hatte damals ihre wichtigsten Standorte noch an Rhein und Ruhr. An vier Gelsenkirchener Jahre im Leben Weizsäckers erinnert seit einigen Tagen eine Gedenktafel an jenem Haus, in dem der Mannesmann-Mitarbeiter Weizsäcker ab 1950 wohnte. Postadresse: Bismarck-Straße 193! Die Gelsenkirchner haben das Gebäude nun „Erinnerungsort von-Weizsäcker-Haus“ genannt. Eine schöne Geste, die an eine lokalhistorische Episode im Leben eines später berühmten Kurzzeit-Ruhrgebiets-Bürgers erinnert. Ergänzt sei, dass die Bismarck-Straße im Stadtteil Gelsenkirchen-Bismarck liegt.

Der Bismarck-Mythos, hier durch den Namen einer Zeche auf ein ganzes Viertel ausgedehnt, ist also nun durch den Demokraten Weizsäcker auf reizvolle Weise gebrochen oder zumindest zusätzlich konnotiert. Wem in dem (unbequemen) CDU-Politiker Weizsäcker dabei noch zu viel bürgerlicher Konservatismus steckt, der kann den Blick auf die Gelsenkirchener „Falken“ richten. Die Jugend-Organisation der von Bismarck einst verfolgten SPD gibt es nämlich – alte Ruhrgebietstradition – natürlich auch in „Bismarck“!

Auf dem Bild ist der Bundespräsident a.D. neben einer Tafel zu sehen, die an seine Geburt im Stuttgarter Neuen Schloss erinnert.

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Mittwoch, den 27. Januar 2016 um 16:40 Uhr

Denkmäler ragen oft wie Relikte aus der Vergangenheit in unsere Gegenwart. Längst vergessene Ehr-Regime haben einen Geehrten in Stein oder Kupfer in den öffentlichen Raum gestellt. Und mit dieser Setzung muss man klarkommen, auch wenn der Bezug zur Thema sich geändert hat oder verloren gegangen ist. Die laustarke Initiative „Rhodes must fall“ in Südafrika und England zeigt den in Bezug auf Personenkult sensiblen Deutschen, dass auch andernorts schwierige einstige Helden durch die Hintergrundfilme des Alltagslebens spuken.

Erfrischend ist, wie reflektiert man auf die geschichtsvergessenen Wünsche nach der einfachen Lösung der Bilderstürmerei (was ist nicht sehe, hat es auch nicht gegeben) reagiert. Nämlich nicht mit der bockigen Abwehrhaltung der unkritischen Verklärer von Monarchie und Republik im Kolonialzeitalter. Natürlich muss die Verherrlichung des Empires (nicht des Vereinigten Königreiches) dort ebenso den tempi passati angehören, wie es in Deutschland mit den Relikten vermeintlicher kolonialer Heldentaten sein sollte, die eigentlich Kriegsverbrechen waren. Sollten aber alle Spuren kolonialer Geschichte im öffentlichen Raum verschwinden?

Oder in welcher Form sollten sie entschärft oder ironisiert werden? Darüber wird gegenwärtig diskutiert. Deutschland holt damit die Beschäftigung mit einem Thema nach, das über Jahrzehnte marginalisiert und später zunächst nur aus europäischer Perspektive in den Blick genommen wurde. Alltagserfahrungen globaler Dynamiken haben nun zunehmend zu der Einsicht geführt, dass Kolonialgeschichte kein alleiniges Phänomen von Kolonien und kleinen Eliten in den „Mutterländern“ war, sondern eine gesamtgesellschaftliche Dimension weit über das Ende der formalen Kolonialzeit hinaus hat. Wissmann-, Woermann- und Trotha-Straßen und -denkmäler sind bis heute beredte Zeugnisse, weniger plakative Beispiele gibt es zu Hauf.

In der englischen Öffentlichkeit diskutiert man gegenwärtig darüber, wie man den wüsten Imperialisten Rhodes einhegen kann. Dort, wo er im öffentlichen Raum unkommentiert aufwartet, soll er nun durch Hinweistafeln kontextualisiert werden. „Konstruktiv“ nennt das Deutschlandradiokultur. „Sinnvoll und abgewogen“, nennen wir das aus der Sicht der Bismarck-Forschung. Dass man dabei nebenher noch etwas lernen kann, ja sogar dem vielbeschworenen historisch-politischen Bildungsauftrag nachkommen kann, in dem den moralisch nicht mehr haltbaren Bock durch Informationen über ihn zum Gärtner des historischen Wissens macht, zeigen in Punkto Bismarck die Ost-Thüringer in Gera. Aber die waren immer schon pfiffig und unaufgeregt.

Die lässige Haltung der alliierten Soldaten vor einem Bismarck-Denkmal auf dem Bild zeigt, dass man die Blochsche „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ aushalten kann, wenn man weiß, dass man historisch gewonnen hat.

Von Dr. Ulf Morgenstern

Vor 110 Jahren wurde in Hamburg das größte Bismarck-Denkmal eingeweiht. Bis heute ist es das höchste seiner Art, seine Sanierung ist im letzten Jahr beschlossen worden. Dabei wendet die öffentliche Hand die Gelder dezidiert dem Hamburger Wahrzeichen und nicht der mythischen Rolandsfigur des Reichsgründers zu. Nach zwei Diktaturen ist man in Deutschland sensibel geworden in Sachen Personenkult, was sich nicht nur im politischen Stil in Bund und Ländern, sondern auch im Umgang mit dem historischen Erbe der deutschen Länder ausdrückt.

Kurz: Man tut sich nicht selten schwer mit Straßennamen, Denkmälern und anderen Ehrungen, die in vergangenen Zeiten für seinerzeit als verdienstvoll erachtete Führungsfiguren aus Politik und Militär errichtet worden.

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Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Dienstag, den 11. August 2015 um 09:57 Uhr

In Waren an der Müritz verläuft östlich des Stadtzentrums, direkt am Ufer die Gerhart-Hauptmann-Allee. Eine der besten Adressen an Deutschlands größtem Binnensee, spontan zählt der Vorbeikommende seine Enkel und singt den Refrain von Peter Fox 2008er Sommerhit „Haus am See“.

In Sommerlaune habe ich dort Ende Juli ein Haus entdeckt, dessen Name die Gedanken von Cocktails und Cricket auf dem Rasen direkt zur einstigen nationalistischen Heldenverehrung lenkten. Die Ursache dieses assoziativen Themenwechsels waren die Jahreszahl „1912“ und 13 braune Frakturbuchstaben: „Friedrichsruh“.

Der Name spricht unmissverständlich für eine Nähe des einstigen Besitzers zum 14 Jahre zuvor verstorbenen Reichsgründer Bismarck. Ob das Haus wohl zu DDR-Zeiten auch so hieß? Ein Ortsname war möglicherweise unverdächtig, die einstige Kanzler-Konnotation war vielleicht in der Mecklenburgischen Weite vergessen. Deutlich sichtbar wurde der Schriftzug wahrscheinlich erst nach der Sanierung der Villa vor einigen Jahren. Die meisten Einheimischen und Müritztouristen dürften über ihn hinweg lesen und nicht an den einst mythisch verehrten Bismarck und dessen letzten Wohnort denken.

Durch meine déformation professionelle als Historiker beschlich mich aber sofort ein merkwürdiges Gefühl. Denn schließlich hatte ich auf meiner Radtour schon wenige hundert Meter zuvor eine massive Portion Kaiserreich verabreicht bekommen, und zwar aus dem Bereich der Kolonialgeschichte. Ist das südliche Mecklenburg also ein Hort positivistischer Erinnerungen an das 19. Jahrhundert? Eher nicht, weitere Kaiserreich-Reminiszenzen im öffentlichen Raum blieben auf der Umrundung der Müritz aus. Abgesehen von allgegenwärtigen Bismarck-Brötchen natürlich, überall neutralisiert zwischen Lachs, Saibling und Aal.