„Geschichte wird gemacht“: Musikhistorisch Interessierte kennen diesen indikativen Dreiwortsatz aus einem Ohrwurm der frühen 1980er Jahre. „Fehlfarben“ hieß die Band, „Ein Jahr (es geht voran)“ der Song und „Monarchie und Alltag“ das Album.

„Monarchie und Alltag“, ausgerechnet! Denn das tagtägliche „Machen von Geschichte“, das hier als die Arbeit eines Historikers vorgestellt werden soll, ist zufällig ein Stück Forschung über das deutsche Kaiserreich. Und zwar ein ganz besonderes. Aber der Reihenfolge nach ….

Wie alle fertigen Produkte stehen Bücher irgendwann im Laden. Das ist bei wissenschaftlichen Werken nicht anders, auch wenn sich deren Verkaufszahlen in engen Grenzen halten. Der Forscher hat sein Manuskript abgeschlossen, der Verlag mehr oder weniger kritische Blicke darauf geworfen, die Druckerei hat den Auftrag erledigt und die Kritiker wetzen die Messer. Wie ein Buch entstanden ist, unter welchen Bedingungen recherchiert wurde, wo und wie schnell geschrieben, verworfen und wieder neu geschrieben wurde, das ist für die spätere Rezeption meist uninteressant. Allenfalls bei zu Klassikern gewordenen Büchern schaut die Historiographie-Geschichte im Abstand von Jahrzehnten nach den Entstehungsbedingungen, wobei damit eher die intellektuellen Einflüsse auf den Autor als dessen tagesaktuelle Befindlichkeiten gemeint sind.

Und doch weiß jeder, wie wichtig die Tagesform, das private Umfeld, die Gesundheit und sogar das Wetter für den Fortgang eines Forschungsprozesses sind. Sich selbst kann man nicht objektiv über die Schulter schauen, bei befreundeten Kollegen will man das mitunter gar nicht so genau. Oder doch?

Eine wunderbare Möglichkeit, einem Historiker beim „Machen von Geschichte“, sprich bei seiner Arbeit zu zuschauen, bietet der Blog des Australiers Matthew Fitzpatrick. Der ausgewiesene Experte für die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts in ihren weltweiten Vernetzungen lehrt an der Flinders Universiät im südaustralischen Adelaide. Immer wieder kommt er für seine Forschungen nach Deutschland, da ein Gutteil der Quellen für seine Studien in deutschen Archiven liegen.  Im Moment lebt er (mit seiner Familie!, ja auch die entsagungsvollen Schreibtischarbeiter haben gelegentlich Familie) in Münster.

In einem work-in-progress-Blog kann man ihm und dem Entstehen seiner Gedanken zu seinem neuen Buch folgen und in kurzweiligen Einträgen sehen, wie das Projekt eines Australiers in Deutschland wächst und wächst. Er schreibt darin über Bahnfahrten, Archivrecherchen, das Grübeln über längst vergangene Ordensverleihungen, aber auch über Spaziergänge zu Denkmälern: Solche und andere scheinbare Banalitäten fügen sich zu einem spannenden wissenschaftlichen Itinerar zusammen. An dessen Ende soll ein Buch über „Wilhelm II. und die Kolonien“ stehen, zumindest ist das bislang der Arbeitstitel.

Ist ein solcher Blog nun Geschichtswissenschaft 2.0? Oder sogar 3.0.? Und schlicht „Public Historiography“? Oder als Meta-Geschichtsschreibung eine Art Selbstbespiegelung? Am ehesten ist es eine Mischung aus allem, und zwar im positivsten Sinne. Im Zeitalter von geistlosen Influencern, die Handtaschen und Peeling-Cremes empfehlen, tut diese Baustellenkamera an der Werkbank eines Wissenschaftlers unheimlich gut. Sie fängt seriöses Arbeiten ein. Im Zeitraffer entsteht hier ein Buch, „Geschichte wird gemacht“.

Bei den Fehlfarben war der Präsident an allem schuld. Ob das bei Fitzpatrick nach einigen Monaten „Monarchie und Alltag“ der Kaiser sein wird? Wir dürfen gespannt sein ….

Die Diskussion um Straßennamen und Denkmäler für historische Persönlichkeiten ist vielgestaltig. Sie hat regionale Anlässe oder unterliegt geschichtskulturellen Konjunkturen. Zwei Beispiele für diese beiden Fälle sind uns zuletzt untergekommen.

In Düren steht seit 1892 ein Bismarck-Denkmal. Eingehegt ist der Reichsgründer von dem liberalen ersten Bundespräsidenten, denn Bismarck steht auf einem Theodor-Heuss-Platz. Dieses Beispiel für den Wandel von Ehrungen im öffentlichen Raum, sog. Ehr-Regimen, zeigt, wie sich ändernde historische Wahrnehmungen in ironisch sachlicher Art zu einem sich ändernden Geschichtsbild in der Öffentlichkeit führen können.

Nun gibt es Streit um die Wiederaufstellung des Denkmals, das während eines Neubauprojekts in unmittelbarer Nachbarschaft eingelagert worden ist. Der Name des Neubaus: „Bismarck-Quartier“, ausgerechnet. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Stadt positionieren wird. Und wo sie den 124-jährigen Bismarck positionieren wird!

Vielleicht reicht ja eine erklärende Hinweistafel mit Hinweisen zu Leistungen und Fehlleistungen des Geehrten neben dem Denkmal. Das wäre jedenfalls unsere Empfehlung.

Eine solche abzugeben stehen wir beim nächsten Beispiel nicht an, denn es geht um eine Bismarck-Straße in einem fernen Ausland, wenn auch in einem mit ganz besonderer Beziehung zu Deutschland. Die Rede ist von der „Bismarckstrasse“ in Windhuk.

Die kleine, aber einflussreiche Gruppe von Namibianern deutscher Herkunft hat bisher sorgsam darauf geachtet, dass deutsche Spuren im Land erhalten bleiben.

Aus nachvollziehbaren Gründen sehen das die Nachfahren der schwarzen Namibianer anders, zumindest einige. Denn wie zuletzt auf einem Symposium im Deutschen Historischen Museum zu hören war, gibt es etliche afrikanische Stimmen, die das Abreißen der einst erzwungenen, seit langem aber auch identitätsstiftenden deutsch-namibisch – namibisch-deutschen „Entangled History“ für Geschichtsvergessenheit halten.

Also auch in Windhuk eher ein erklärendes Schild als eine Umbenennung? Warten wir es ab. Es gilt wie immer in der Geschichte: Der Ausgang ist offen, auch wenn man Wahrscheinlichkeiten ausmachen darf.

„Der größte aller deutschen Russland-Versteher war ohne Zweifel Otto von Bismarck“, schreibt der renommierte Historiker und Publizist Michael Stürmer jüngst in einem hochinteressanten Artikel der „Welt“.

Doch im dezidierten Gegensatz zu den zahlreichen „Russland-Verstehern“ und „Russland-Verklärern“ unserer Tage geht es ihm nicht darum, Deutschlands Verhältnis zu Russland unter Berufung auf den ersten deutschen Reichskanzler von „Schwärmerei und Dämonisierung“, sondern von „Abschreckung und Entspannung“ leiten zu lassen.

In der Tat: Wenn heute von interessierter Seite das Hohe Lied der Bismarck’schen Freundschaft zu Russland gesungen wird, wird nur zu gern ausgeblendet, dass der preußisch-deutsche Staatsmann das autokratische Zarenreich in all‘ seinen Widersprüchen mal als Partner, mal als militärische Bedrohung ansah.

Wenn wir Bismarcks Russlandpolitik heute als Orientierung nehmen wollen, müssen wir zwei Aufgaben lösen. Zunächst, den ‚ganzen‘ Bismarck in den Blick nehmen:

– den Bismarck, der mühsam die russische Sprache erlernte, um als Diplomat auf Posten in St. Petersburg auch mit dem Volk kommunizieren zu können;
– den Bismarck, der Zar Alexander II. als „asiatischen Despoten“ titulierte, obwohl der sich als Preußens „intimsten, wenn nicht alleinigen Freund“ rühmte;
– den Bismarck, der wegen der „Unberechenbarkeit der russischen Politik“ ein Bündnis mit dem autokratischen Zarenreich schloss, um sich vor der „roten Gefahr“ des Sozialismus wie auch des panslawistischen Chauvinismus zu schützen;
– den Bismarck, der Russland mit harter Schutzzollpolitik bekämpfte, um die deutsche Agrarwirtschaft vor unliebsamen Importen zu bewahren;
– den Bismarck, der Russland im Rückversicherungsvertrag machtpolitische Avancen machte, die anderen Abkommen des Deutschen Reichs diametral zuwiderliefen;
– den Bismarck, der Russland am Ende seiner Kanzlerschaft, wenn auch nur als reservatio mentalis, „freie Hand im Osten“ zuzugestehen bereit, um einen etwaigen Zweifrontenkrieg abzuwenden.

Und dann, das ist die zweite Aufgabe, sollten wir entscheiden, ob uns der Preis für die Wiederaufnahme seines Kurses annehmbar erscheint.

Vom Eisernen Kanzler stammt übrigens auch jener Satz, der vielleicht besser als alle Schwärmerei oder Dämonisierung Deutschlands Verhältnis zu Russland bestimmen kann: „Nur soll man nicht glauben, daß angenehme Eindrücke und Sympathien in der Politik maßgebend sind; da entscheiden schließlich doch die Interessen“.

Über die 1893 in Schönhausen an der Elbe geborene Hannah von Bredow, geb. von Bismarck und viertälteste Enkelin des Kanzlers a.D., ist eine spannende Biographie erschienen.

Der Diplomat Reiner Möckelmann, als historischer Autor bisher vor allem ein Türkeikenner, widmet sich dem Leben der entschiedenen Gegnerin des Nationalsozialismus.
Anders als weite Teile des deutschen Adels, auch in der engeren Verwandtschaft, lehnte Hannah von Bredow die NS-Diktatur ab, konnte sich aber auch nicht zu aktivem Widerstand oder einer Emigration entschließen.
Möckelmann bettet die 12 Jahre des Überdauerns des Dritten Reiches abgewogen und unaufgeregt in ein langes Leben zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik ein; Hannah von Bredow starb 1971 nach einem in Friedrichsruh erlittenen Sturz.
Er wertet private Dokumente aus und kann so aus bisher unbekannten Quellen schöpfen. Das lesenswerte Panorama des Lebens einer achtfachen Mutter aus einer der ersten Familien Deutschlands erweitert nicht nur die Bismarck-Forschung, sondern auch die deutsche Sozial- und Kulturgeschichte insgesamt.

Vor vollem Haus hielt Friedrich Merz am 11. April den Hamburger Bismarck-Vortrag des Jahres 2018. Der bekennende Transatlantiker sparte im Warburg-Haus nicht mit Kritik an der amerikanischen Politik, rückte mit solcher aber auch den europäischen und deutschen Eliten auf den Leib. Anhand von nüchternen Zahlen setzte Merz Europa in Relation zur Welt und verwies damit manche Befindlichkeiten in Berlin, Brüssel und London ins kurzsichtige Reich der kindlichen Nabelschau.

Rhetorisch brilliant führte Merz die Zuhörer am Ende seiner Zustandsbeschreibung Deutschlands und Europas im Jahr 2018 aber auch auf zuversichtliche Pfade. Sowohl politische als auch wirtschaftliche Bedrohungen und Ängste seien steuerbar, wenn der Wille zur Gestaltung wachse und jüngere Engagierte in die Politik nachrückten und einen gewissen lähmenden Mehltau abstreiften. Nicht ohne Ironie parierte er die Frage, weshalb er seit 2009 nicht mehr als Mandatsträger mittue – eine Kritelei, die ihm spürbar nicht zum ersten Mal begegnete. Wer die gegenwärtige Ämtervielfalt des MdB a.D. Friedrich Merz aus der Anmoderation durch den Vorstandvorsitzenden der Otto-von-Bismarck-Stiftung mit der Strahlkraft des Vortrags zusammendachte, konnte sich davon überzeugen, dass demokratische Teilhabe und gesellschaftliches Engagement zwar vornehmlich, beileibe aber nicht nur mit parlamentarischen Mandaten erreicht werden.

 

Der Bismarck-Mythos wurde von deutschen Auswanderern einst in die ganze Welt getragen. Ein außergewöhnliches Zeugnis ist der Bismarck-Turm in Chile, der einzige in Amerika.

Nicht nur der Zahn der Zeit, sondern auch die Plattentektonik hat dem Gebäude zugesetzt: Um die Erdbebenschäden beseitigen zu können und den zum historischen Erbe der Stadt Concepción zählenden Turm der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, werden Spenden benötigt. Wer gern einen ganz besonderen Ort der deutsch-chilenischen Geschichte für die gemeinsame deutsch-chilenische Gegenwart und Zukunft erhalten möchte, kann sich mit einer finanziellen Unterstützung beteiligen.

Und keine Angst: Es handelt sich nicht um einen deutschtümelnden Hort rechtsradikaler Südamerikaner, im Gegenteil: Der deutsche Sportverein Concepción ist ein sympathischer, politisch neutraler Verein, der selbstverständlich mit einem kleinen Museum auf die Geschichte der Ortes aufmerksam machen wird.

Mehr Informationen zur Initiative

Mehr als 100 Jahre haben die Memoiren des weltreisenden Erfurter Bürgersohns Robert Lucius geschlummert, nun liegen sie ediert vor.

Der ungewöhnliche Lebensbogen eines katholischen Mitteldeutschen und späteren preußischen Landwirtschaftsministers umfasst Stationen als Militärarzt in spanischen Diensten und eine abenteuerliche Expeditionsteilnahme nach Japan und China.

Wie selbstverstädnlich wächst da ein junger Mediziner in die Global- und Kolonialgeschichte des 19. Jahrhunderts hinein. Und wird dann Abgeordneter und Minister und vertauscht die Weltreisen gegen ein ruhiges Leben als Berliner Büroarbeiter. Als solcher liefert Lucius nicht zuletzt Details aus den Wochen vor der Entlassung Bismarcks, die auch das Ende seiner politischen Dienstzeit bedeutete.

Die Erinnerungen können in unserem Shop bestellt oder natürlich in der Bismarck-Stiftung gekauft werden. Die Lektüre des ungewöhnlichen Lebens lohnt sich!

Dass man in globalen Zeitalter auch global in die Vergangenheit blicken kann und sollte, bestätigt eine Rezension unseres vorletzten Tagungsbandes. Vielen Dank für die Zustimmung im prinzipiellen Ansatz und die Kritik im Einzelnen!

Bernhard Schlink hat einen neuen, gewohnt geschichtsträchtigen Roman geschrieben. „Olga“ ist nach der Titelfigur benannt, deren Biographie entlang eines souveränen Durchgangs durch die deutsche Geschichte von der Bismarck-Zeit bis in die Ära Brandt erzählt wird. Was um 1880 in Breslau beginnt, endet in den Studentenunruhen der ausgehenden 1960er Jahre. Die betagte Protagonistin hat das Pech, bei der Sprengung eines Bismarck-Denkmals durch vandalierende Revoluzzer verletzt zu werden und an den Folgen zu sterben.

Ob dieser Spannungsbogen trägt und es sich lohnt, die 311 Seiten zu lesen, beurteilt die Kritik unterschiedlich. Wir meinen: Egal, die Geschmäcker sind wie immer verschieden und Schlink hat ein treues Lesepublikum, das sich von Mäkeleien der Feuilletons nicht beirren lässt. Und wenn sich genügend Käufer finden, verhandelt Schlinks Agent sicher bei den Filmrechten noch einmal nach. Spannend wird dann die szenische Umsetzung der Denkmalssprengung. Es wäre die erste seit den Nachkriegsjahren ….

Am 5. Januar lud die Otto-von-Bismarck-Stiftung zu ihrem zu ihrem ersten großen Termin im neuen Jahr. Rund 130 Gäste machten sich auf den Weg in den Sachsenwald und  besuchten den Neujahrsempfang. Wie in jedem Jahr zogen Vorstand, Geschäftsführung und Förderverein Bilanz und präsentierten die Vorhaben für die nächsten zwölf Monate. Musikalisch wurde Veranstaltung umrahmt von einem Streichkonzert des Sachsenwaldgymnasiums Reinbek; auch das eine schöne Tradition. Dass der eigentliche Redner des Abends, Weihbischof em. Dr. Hans-Jochen Jaschke krankheitsbedingt seinen Vortrag absagen musste, war der einzige Wermutstropfen des Abends. Der Stimmung bei den anregenden und wie immer ausgedehnten Gesprächen in der Dauerausstellung tat es jedoch keinen Abbruch. In diesem Sinne wünschen wir allen Freunden des Hauses ein gesundes neues Jahr!