Paris 1919: Licht und Schatten
In seinem Vortrag „Frieden durch Recht? Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg“ analysierte Prof. Dr. Marcus M. Payk die rechtliche Argumentationslinie der Entente-Mächte im Ersten Weltkrieg sowie auf der Pariser Friedenskonferenz gegenüber dem Deutschen Reich und dessen Reaktion nach der Vorlage des Versailler Vertrages.
Marcus M. Payk ist Professor für Neuere Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der westeuropäischen Geschichte an der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg und hat sich mit dem Vortragsthema habilitiert. Seine Interpretation stieß gestern im Historischen Bahnhof Friedrichsruh auf großes Interesse.
Payk ging von der These aus, dass sich in Europa bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Auffassung durchgesetzt habe, die Beziehungen der Staaten zueinander nicht mehr durch Macht, sondern durch das Recht zu regeln. Gelten sollte diese Auffassung allerdings nur im Verhältnis der „zivilisierten“ Staaten, weiten Teilen von Afrika und Asien sei dieser Status vor dem Hintergrund der Kolonialisierung nicht zugestanden worden.
Das deutsche Kaiserreich habe aus Sicht der Entente-Mächte mit diesem Konsens 1914 gebrochen – nicht durch den Beginn des Krieges an sich, sondern durch den Vorstoß der Armee in den Norden Frankreichs durch das neutrale Belgien. Damit sei der Vertrag von 1839, mit dem Belgien seine Unabhängigkeit, Sicherheit und Neutralität zugesichert erhalten hatte, verletzt worden. Diesen Rechtsbruch hätten die Alliierten nicht als eine notwendige Kriegsstrategie des Deutschen Reiches gewertet, sondern als Barbarei. Daher hätten Frankreich, Großbritannien und dann auch die USA die Führung des Krieges als Verteidigung des Rechts definiert.
Der Historiker zeichnete im weiteren Verlauf seines Vortrages nach, dass sich die Alliierten mit der Argumentation, im Krieg und beim Friedensschluss das Recht zu verteidigen, selbst Fesseln anlegten. Daher habe implizit das Motto gegolten: „Rache und Vergeltung mussten über das Recht ausgedrückt werden.“ Die Selbstverpflichtung der Alliierten, allein das Recht durchzusetzen, habe den Verlauf der Pariser Friedenskonferenz von 1919 geprägt und erkläre den sehr detaillierten Versailler Vertrag, in dem Fragen der Feuerversicherung ebenso geregelt worden seien wie die Rückgabe geraubter Kunstschätze. Habe im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 noch der Verlierer eine pauschale Summe an den Sieger zahlen müssen, so Payk, sei nun im Bemühen um eine juristisch exakte Bezifferung der Schäden die Kriegsschuld über die Haftungsfrage geklärt worden. In Artikel 231 des Versailler Vertrag heißt es: „Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.“
Die erklärte Absicht, über das Recht zu gerechten Beziehungen der Staaten zueinander zu gelangen, habe auf der Pariser Friedenskonferenz eine politische Schattenseite gehabt, wie in dem Vortrag deutlich wurde: Die Alliierten seien nicht zu Kompromissen bereit gewesen. Die Deutschen hätten sich der das Recht betonenden Linie schließlich angepasst und sie für ihre Interessen argumentativ zu nutzen versucht. Payk zitierte dazu den damaligen Außenminister Ulrich Graf Brockdorff-Rantzau: „Sie selbst haben uns einen Bundesgenossen zugeführt: das Recht, das uns durch den Vertrag über die Friedensgrundsätze gewährleistet ist.“
Entstanden sei ein Vertrag, der kein „Diktat“ gewesen sei, so die abschließende Einordnung des Historikers. Zwar sei die Unterzeichnung eine „freudlose Zeremonie“ gewesen, auch habe es keine Geste der Versöhnung gegeben. Die vermeintliche „Dramatik des Versailler Vertrags“, so Payk, sei aber erst durch die Rhetorik in der deutschen Öffentlichkeit entstanden.