Bismarcks Bündnispolitik – Vor 150 Jahren wurde das Dreikaiserabkommen unterzeichnet

Bismarcks Außen- und Bündnispolitik beschäftigte wiederholt auch die Karikaturisten: „Verantwortungsvoller Posten. Europas Central-Weichensteller“, aus: Kladderadatsch, Heft 49, 23. Oktober 1887

Am 22. Oktober 1873, fast auf den Tag genau vor 150 Jahren, vereinbarten das Deutsche Kaiserreich, Russland und Österreich-Ungarn den Abschluss eines „Dreikaiserabkommens“. Mit dieser Grundsteinlegung seiner Bündnispolitik beging Reichskanzler Otto von Bismarck quasi eine revolutionäre Tat, denn feste (wenn auch zeitlich befristete) Bündnisse kannte die internationale Staatenwelt eigentlich nur in Kriegszeiten. Bismarcks Bündnissystem dagegen, in Friedenszeiten geschlossen, sollte den Krieg verhindern. In deutsch-nationalen Kreisen wird das Dreikaiserabkommen mit antibritischem und antidemokratischem Zungenschlag als konterrevolutionäres Bündnis und Verdienst Bismarcks gefeiert. Bei genauerem Blick in die Geschichte ergibt sich hingegen ein differenzierteres Bild. Es lohnt sich daher, die Ereignisse erneut in Erinnerung zu rufen.

Misstrauen gegen Deutschland

Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 markierte für das europäische Staatensystem eine tiefe Zäsur. Nicht nur die militärisch besiegten Nachbarn, auch die abseits stehenden Mächte verfolgten Deutschlands Aufstieg zu einer europäischen Großmacht mit größtem Argwohn. Wie massiv das Misstrauen saß, verdeutlichen die Warnungen zweier Staatsmänner der damaligen Zeit: Benjamin Disraeli, der englische Oppositionsführer, deutete die Veränderungen auf dem Kontinent als „deutsche Revolution“. Der russische Reichskanzler Alexander Gortschakow sah Europa geradezu „aus den Angeln gehoben“. Würde das mit „Eisen und Blut“ geschaffene Reich, so fragten sich die besorgten Beobachter, seine „halbhegemoniale“ Stellung (Ludwig Dehio) weiter ausbauen, gar die Vorherrschaft in Europa anstreben?

Grundfaktoren Bismarck’scher Außenpolitik

Bismarcks Außenpolitik wurde zunächst von fünf Faktoren bestimmt: der Überzeugung, dass ein Staatsmann sich bei seinem Handeln nicht von „Gefühlen“, sondern von „Interessen“ leiten lassen müsse; der Anerkennung der fünf europäischen Großmächte als Handlungsträger der internationalen Beziehungen; der Notwendigkeit eines politischen Gleichgewichts innerhalb dieser „Pentarchie“; der Einsicht, dass auch die „mindermächtigen“ Staaten „ein entscheidendes Gewicht in die Wagschale“ legen könnten; der Auffassung, dass Europa nicht nur ein Kosmos souveräner (Groß-)Mächte, sondern auch ein gemeinsamer Kultur- und Rechtsraum sei.

Zu diesen fünf Aspekten trat die fundamentale Furcht hinzu, dass das Deutsche Reich in seiner Existenz mehrfach bedroht sei: vom französischen Revanchismus, britischen Liberalismus und katholischen Ultramontanismus. Als größte Gefahr fürchtete der Reichskanzler die Verbindung mehrerer Gegner zu einer feindlichen Allianz.

Aufbau eines Bündnissystems

Um dieser Gefahr zu begegnen, schloss Bismarck 1873 ein Dreikaiserbündnis mit Österreich-Ungarn und Russland. Zwei Jahre später erweckte er in der „Krieg-in-Sicht-Krise“ den Eindruck, als ob Deutschland einen Präventivkrieg gegen Frankreich vorbereite. Da Russland und Großbritannien keinen Zweifel daran ließen, in einem solchen Waffengang nicht neutral zu bleiben, betrieb Bismarck fortan eine Politik der „Saturiertheit“, der territorialen Selbstgenügsamkeit. „Wenn ich arbeitsfähig wäre“, so formulierte er im berühmten Kissinger Diktat vom 15. Juni 1877, „könnte ich das Bild vervollständigen und feiner ausarbeiten, welches mir vorschwebt: nicht das irgendeines Ländererwerbes, sondern das einer politischen Gesamtsituation, in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen, und von Coalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zu einander nach Möglichkeit abgehalten werden“.

„Ehrlicher Makler“

Russland wollte einem erneuerten antifranzösischen Sicherheitssystem Bismarck‘scher Prägung nicht beitreten. Außerdem forderte es zunehmend energischer für die wohlwollende Neutralität von 1870/71 eine Gegenleistung im Orient. Bismarck aber wollte auf dem Balkan allenfalls als „ehrlicher Makler“ zwischen den Großmächten vermitteln. Gleichzeitig baute Deutschland ungeachtet des zunehmenden ökonomischen „Internationalismus“ (Guido Thiemeyer) ein Schutzzollsystem auf und begann einen agrarwirtschaftlichen Zollkrieg gegen Russland. Zar Alexander II. verschärfte daraufhin seine balkanpolitischen Forderungen und gab den Mahnungen mit Truppenbewegungen an der westlichen Grenze Russlands martialischen Nachdruck.

Gegen massive Bedenken Kaiser Wilhelms I. schloss Bismarck 1879 eine militärische Defensivallianz mit Österreich-Ungarn, die Russland zur Dreikaiserverständigung zurückbringen sollte. Der Plan des Reichskanzlers ging tatsächlich auf. Wenige Monate nach der Ermordung Alexanders II. stimmte sein Sohn Alexander III. 1881 dem Abschluss eines „Dreikaiservertrags“ zu. In den folgenden Jahren erweiterte Bismarck sein Allianzsystem um den „Dreibund“ mit Österreich-Ungarn und Italien und bahnte vertragliche Verbindungen zu Spanien und Rumänien an. Viele Zeitgenossen begrüßten sein Werk, denn es diente dem Frieden. Es besaß nur einen gravierenden Mangel: Durch die Befristung der streng geheimen Verträge war es nicht auf Dauer angelegt und bedurfte der stetigen Pflege.

„System der Aushilfen“

1885 begannen aufgeputschte Nationalismen in Ost- und Westeuropa Bismarcks kunstvoll errichtetes Bündnisgebäude zu unterspülen. Nach dem Bruch des Dreikaiservertrags entwarf der Reichskanzler ein neues Ordnungskonzept, dessen Kernstück der deutsch-russische Rückversicherungsvertrag von 1887 darstellte. Bismarck tat gut daran, dem Abkommen keine allzu hohe Tragfähigkeit zuzumessen. In Russland plädierten Nationalisten und Panslawisten unverhohlen für eine Kriegsallianz mit Frankreich. Auch in Berlin riefen gewichtige Stimmen zum Kampf auf.

Da der Reichskanzler eisern an seiner Friedenspolitik festzuhalten gedachte, strebte er 1889 ein Bündnis mit England an. Nach dem Fehlschlag der Sondierung stellte Bismarck insgeheim Überlegungen für den Fall an, dass sein Bündnisnetz reißen würde. Um den dann drohenden Zweifrontenkrieg zu vermeiden, blieb dem Deutschen Reich seines Erachtens nur eine Möglichkeit: die russische Neutralität durch das Angebot der „freien Hand“ im Orient zu erkaufen, vielleicht sogar „à tout prix, d.h. mit Aufopferung von Österreich“.
Für Kaiser Wilhelm II. war eine solche Erwägung völlig indiskutabel. Im März 1890 nötigte der junge Monarch seinen alten Kanzler zum Rücktritt und wagte außenpolitisch einen Aufbruch zu neuen Ufern. Ob Bismarcks „System der Aushilfen“ (Lothar Gall) eine Zukunft besessen hätte, ist bis auf den heutigen Tag umstritten. Die positive Bilanz seiner Außenpolitik bleibt davon aber weitgehend unberührt.


siehe auch: Bismarck-Biografie.de: Außen- und Bündnispolitik 1871 bis 1890