In der Kunst gestrandet? Das Gedenken an Otto von Bismarck im Spiegel dreier Ausstellungen

„Bismarck in a Bubble“, Beitrag zum internationalen Ideenwettbewerb „Bismarck neu denken“ von Ralph Heinsohn, Professor für Audiovisuelle Medien an der Hochschule Aachen, und Markus Schäfer (© Stiftung Historische Museen Hamburg)

In Hamburg und Berlin steht Otto von Bismarck im Mittelpunkt dreier Ausstellungen, die sich ihm und ihm gewidmeten Denkmälern künstlerisch nähern – „Bismarck-Streit“ in der Zitadelle Spandau, „Bismarck neu denken“ im Museum für Hamburgische Geschichte und „When Platitudes Become Form“ in der Berlinischen Galerie. Konzipiert wurden sie als visuelle Beiträge zu den aktuellen Debatten in Öffentlichkeit und Wissenschaft über die Kolonialpolitik des Deutschen Kaiserreichs und insbesondere über die Verantwortung, die dem ersten Reichskanzler dabei zukommt.

Bismarck-Streit

Unter dem Titel „Bismarck-Streit“ werden in der Zitadelle Spandau „Kultfigur und Denkmalsturz in einer interaktiven Ausstellung“ präsentiert. Zusammengestellt wurde ein Mix aus historischen Informationen und Exponaten aus dem Bismarck-Museum Schönhausen sowie aus künstlerischen Arbeiten. Besonders auffällig sind die Reste der ersten Aktion des partizipativen Kunstprojekts „Monumental Shadows“: Das Duo Various & Gold hatte 2021 in Kooperation mit anderen Beteiligten das Bismarck-Denkmal im Berliner Tiergarten mit Pappmaché ummantelt, diese bemalt und nach dem Austrocknen symbolisch gestürzt. Diese leere, zerteilte und zugleich sehr bunte Hülle ist in der Ausstellung zu sehen. Eine andere Arbeit stammt von dem Künstler Márcio Carvalho. Er kommentiert die seiner Ansicht nach absurde Häufigkeit von Bismarck-Figuren im öffentlichen Raum mit einer Reihe von aus Gips gefertigten Bismarck-Köpfen. Das Team der Zitadelle Spandau unter Leitung von Dr. Urte Evert rundet die Schau mit einem Begleitprogramm ab. In insgesamt drei Veranstaltungen grenzen Dr. Andrea Hopp, Leiterin der Otto-von-Bismarck-Stiftung Schönhausen, und Dr. Ulf Morgenstern, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh, unter anderem den Bismarck-Mythos von der historischen Figur des preußisch-deutschen Staatsmannes ab.

Gestürzt ist nur die Hülle aus Pappmaché: Mit dem Projekt „Monumental Shadows“ wurde das Bismarck-Denkmal im Berliner Tiergarten künstlerisch bearbeitet ( © Stadtgeschichtliches Museum, Zitadelle Spandau 2023)

Eine Station auf der Führung durch die Ausstellung: „Demythologize That History and Put it to Rest“ von Márcio Carvalho (© Stadtgeschichtliches Museum, Zitadelle Spandau, 2023)

 

Bismarck neu denken

Im Museum für Hamburgische Geschichte sind die Beiträge zum Wettbewerb zur Kontextualisierung des Hamburger Bismarck-Denkmals zu sehen. „Bismarck neu denken“ – so lautete die Aufforderung, nachdem die von Bund und Stadt beschlossene, finanzierte und gerade beendete Sanierung des Bismarck-Denkmals im Alten Elbpark in Teilen der Öffentlichkeit auf Kritik gestoßen war. In dieser Kritik wurde die über 15 Meter hohe Rolandsfigur (mit Sockel: 34 Meter) entgegen ihrer Entstehungsgeschichte und Bildsprache vorrangig mit der deutschen Kolonialpolitik verbunden. Der Ausschreibungstext des Wettbewerbs im Rahmen des übergeordneten Projekts „Hamburg dekolonisieren“ nahm die öffentliche Kritik teilweise auf und rief daher „Personen aus Kunst, Architektur und Zivilgesellschaft“ auf, „Denk- und Gestaltungsansätze zu entwickeln, wie die komplexen Bezüge des Denkmals zu Kolonialismus, Nationalsozialismus, Diskriminierung und Fragen der sozialen Gerechtigkeit sichtbar gemacht werden können und dazu angeregt wird, sich mit der Geschichte des monumentalen Standbilds zu befassen.“ Dieser komplexen Aufgabenstellung ist nach Meinung der Jury keiner der eingereichten Entwürfe gerecht geworden. Das Preisgeld wurde unter denjenigen, die die zweite Auswahlrunde erreichten, aufgeteilt.

In der Ausstellung werden alle eingereichten Entwürfe kurz und knapp auf jeweils einem Papier gezeigt, weitere Informationen sind über einen QR-Code zu erreichen – eine Zusammenstellung ist auch online einzusehen. In diesen Wettbewerbsbeiträgen wird das Bismarck-Denkmal beispielsweise mit Darth-Vader-Helm und Lichtschwert kostümiert, mit einer Leuchtröhre im Gesicht ausgestattet, die zu einer (Knast-)Träne gebogen ist, mit einem einfachen Indianerschmuck ausstaffiert (dieser Entwurf wird als „sensibler Inhalt“ etwas abseits gezeigt) oder in einen überdimensionalen Vogelkäfig gestellt. Bei den Entwürfen der zweiten Runde, die etwas ausführlicher und größer an den Außenwänden des Ausstellungsraums präsentiert werden, wird das Denkmal unter anderem zur Kletterwand, mit einem Aufgang versehen oder dauerhaft eingerüstet.

Die Entscheidung der Jury, keinen der Entwürfe mit einem Preis auszuzeichnen, ist nachzuvollziehen – der in der Zitadelle Spandau unternommene Versuch, Person und Mythos im historischen und gegenwärtigen Kontext greifbar zu machen, wird in Hamburg von kaum einem Wettbewerbsbeitrag geleistet. Auffällig ist, dass Bismarck in einigen Entwürfen wahlweise unterkomplex verteufelt oder mit popkulturellen Bezügen versehen wird, die keinen Zusammenhang zur deutschen Geschichte erkennen lassen. Andere Beiträge arbeiten an dem optischen Verschwinden des Denkmals oder wollen Augenhöhe zwischen dem Besucher und den toten Blicken dieses steinernen Kolosses herstellen. Vorschläge, Denkmal und Elbpark in einen Ort der Begegnung mit der Geschichte zu verwandeln, bleiben die Ausnahme. Aber praktisch jeder Entwurf hätte das Denkmal zu einem neuen – unkritischen? –touristischen Anziehungspunkt gemacht. Die Kulturbehörde der Hansestadt will nun auf eine geschichtswissenschaftlich fundierte Vermittlung der Hamburger und deutschen Kolonialgeschichte hinwirken.

Die Wettbewerbs-Entwürfe zur Kontextualisierung des Hamburger Bismarck-Denkmals werden bis zum 14. August im Museum für Hamburgische Geschichte gezeigt (© Otto-von-Bismarck-Stiftung / Natalie Wohlleben)

 

When Platitudes Become Form

Eine ganz andere, ironische Kommentierung der aktuellen Bismarck-Debatten ist in der Berlinischen Galerie zu sehen. In der Ausstellung „When Platitudes Become Form“ lässt Julius von Bismarck unter anderem ein Reiterstandbild seines Urururgroßonkels in sich zusammenfallen und wieder auferstehen. Bezüge zur Kolonialdebatte bieten sein „Landscape Painting (Bismarck Sea)“ sowie die Installation „I like flowers“, zu der auch das gepresste Blatt einer Bismarck-Palme gehört. Julius von Bismarck zeigt so einfach wie originell, wie Kunst zum Nachdenken über den ersten Reichskanzler anregen kann – ohne den Bismarck-Mythos aufleben zu lassen und im Detail nahezulegen, wie Kunstwerk und Geschichte zu verstehen sind (siehe dazu auch: „Die Pickelhaube bleibt auf dem Kopf“).

Julius von Bismarck zeigt seine neuen Arbeiten unter dem Titel „When Platitudes Become Form“ in der Berlinischen Galerie (Foto: © Harry Schnitger)

 

Kunst, Debatte, Erinnerung

Die Idee, gesellschafts- und erinnerungspolitische Debatten um künstlerische Beiträge zu erweitern, ist hierzulande nicht neu: 1995 verhüllten Christo und Jeanne-Claude den Reichstag kurz vor seiner Sanierung als Sitz des Bundestages, 2015 thronte eine Steinbock-Skulptur auf dem Hamburger Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark, zum Kirchentag im Mai 2022 wurde in Stuttgart ein Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm I. mit einem roten Tuch abgedeckt.

Die künstlerische Verfremdung eines Denkmals kann Perspektiven auf eine Epoche oder eine Person öffnen und vielleicht sogar Ambivalenzen sichtbar machen – das Kaiserreich im Spannungsfeld zwischen Obrigkeitsstaat und Modernisierung, Bismarck als Verantwortlicher der Sozialversicherungen ebenso wie der Kolonialpolitik. Oder aber sie spielt mehr oder weniger trivial mit ihren Objekten. Die Ausgangsbasis der gesellschaftlichen und politischen Debatte über eine mehrheitsfähige Erinnerungskultur kann aber nur – so zeigen es auch diese drei aktuellen Ausstellungen – die Wissenschaft mit ihren Quellen sein.

 

Die Ausstellungen

Bismarck-Streit. Kultfigur und Denkmalstutz in einer interaktiven Ausstellung
Zitadelle Spandau mit Begleitprogramm
6. Juni 2023 bis 1. April 2024

Bismarck neu denken. Präsentation der eingereichten Wettbewerbs-Entwürfe zur Kontextualisierung des Hamburger Bismarck-Denkmals
Museum für Hamburgische Geschichte
26. Juli bis 14. August 2023

When Platitudes Become Form
Ausstellung mit Werken von Julius Bismarck in der Berlinischen Galerie
26. Mai bis 14. August 2023