Ein Wagner-Gedicht mit Vorgeschichte. Leihgabe der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Berlin zu sehen

„Dem deutschen Heere“, Seite 1 und 2. Diese handschriftliche Fassung sandte Richard Wagner 1871 an Otto von Bismarck. (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

Otto von Bismarck war dem Musikgenuss keineswegs abgeneigt, aber er war kein Bewunderer Richard Wagners. Ihn erfreuten das Klavierspiel seiner Frau Johanna und die Konzertabende, zu denen bekannte Musiker oder Sänger ins eigene Haus eingeladen wurden. Dennoch befindet sich in seinem Nachlass ein handgeschriebenes Gedicht, das der damals aufstrebende Komponist Ende Januar 1871 – eine Woche nach der Kaiserproklamation in Versailles – schrieb und ihm sandte. „Dem deutschen Heere“, so der Titel, wird seit vergangener Woche als Leihgabe in der Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ gezeigt. Sie ist bis zum 11. September 2022 im Deutschen Historischen Museum Berlin (DHM) zu sehen.

Gegen Ende des Deutsch-Französischen Kriegs huldigte Wagner in diesem Gedicht dem deutschen Militär und zeigte seine Verachtung für einen Frieden, der nicht von den Soldaten errungen, sondern von Diplomaten ausgehandelt würde. Nicht zufällig findet sich auch eine ironisch-abwertende Bemerkung über die französische Hauptstadt („wo sich’s so hübsch verschwört“), die nicht allein der Kriegsgegnerschaft geschuldet war. Wagner habe sich in den Wochen zuvor in eine nationale Euphorie hineingesteigert, schreibt Herfried Münkler in dem Band „Marx, Wagner, Nietzsche“, „bis zu einer imaginierten Vernichtungsorgie. Dabei hatte er es vor allem auf Paris abgesehen und verlangte, die Stadt […] solle mit schwerem Geschütz beschossen und in Schutt und Asche gelegt werden.“

Seite 3 des Gedichts „Dem deutschen Heere“ (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

Während Bismarck die Kapitulation von Paris erreichen wollte, um möglichst bald den Krieg zu beenden, lagen die Motive Wagners in einem „giftigen Groll“, der sich in eine „nationalistische Ideologie“ kleidete. Zu dieser Charakterisierung, die zu den Befunden Münklers passt, kommt Orlando Figes. Er schildert in seinem Buch „Die Europäer“ die vergeblichen Versuche des Komponisten, in Paris zu reüssieren: Wagner sei 1839 als junger Mann dort angekommen, „um in der Musikhauptstadt Europas Ruhm und Reichtum als Opernkomponist zu suchen“. Aber trotz eines Empfehlungsschreibens sei sein Werk „Rienzi“ von der Pariser Oper abgelehnt worden. „Ein Scheitern in Paris war normal für junge Komponisten“, schreibt Figes, „doch Wagner hielt es für eine Missachtung seines Genies. Dies brachte ihn gegen die Stadt auf; er behauptete, sie habe ihre Seele an den Handelsgeist und die Geldgier verloren, die er selbst zugunsten einer höheren ‚deutschen‘ Form der Kunst zurückweise.“

Wagner gab seine Pariser Absichten dennoch nicht sofort auf. Im Frühjahr 1860 habe immerhin die berühmte Opernsängerin Pauline Viardot eine aufsehenerregende Soirée für ihn veranstaltet, schreibt Figes, und ihm 10.000 Francs überlassen, damit er seine Schulden habe begleichen können. Die Pariser Tannhäuser-Premiere 1861 sei dann aber zum Fiasko geraten, weil Wagner es sich mit einer Gruppe einflussreicher junger Aristokraten verscherzt habe. Der Komponist habe trotz eindringlicher Warnungen die übliche Szenenfolge so verändert, sodass die Aristokraten nicht wie gewohnt während des ersten Aktes zum Essen hätten gehen können, wollten sie den Auftritt des Balletts und damit ihre Freundinnen – nunmehr im ersten Akt – sehen. Sie hätten daraufhin die Premiere ausgezischt, die Oper sei damit durchgefallen.

Wagner kehrte 1862 nach Deutschland zurück und begann mit seiner Verwandlung in einen „Kulturunternehmer“ (Münkler), der ständig auf der Suche nach Geldgebern war. Sein geplantes Festspielhaus habe daher nicht zufällig in Bayreuth entstehen sollen, so Münkler, „in der Mitte Deutschlands, nahe der Grenze zwischen Preußen und Bayern“. Die Versuche aber, neben dem bayerischen König Ludwig II. auch Preußen oder gar das neugegründete Deutsche Reich als Geldgeber zu gewinnen, blieben ohne Ergebnis, wie Marcus Spangenberg für die Begleitpublikation der Ausstellung recherchiert hat: Nach der Abfassung des Gedichts „Dem deutschen Heere“ sei Wagner Anfang Mai 1871 nach Berlin gereist, um seinen „Kaisermarsch“ vor Kaiser Wilhelm I. zu dirigieren. Während dieses Aufenthalts habe Bismarck den Komponisten empfangen, um über Politik und Kunst zu sprechen. Wagner, der mit Gedicht und Marsch sich gut gewappnet glaubte, habe auf eine finanzielle Förderung des geplanten Festspielhauses durch Bismarck, den Kaiser und das Reich gehofft. „Immerhin verstand Wagner die Festspiele als ein nationales, kulturelles Symbol, von welchem die deutsche Kultur positiv beeinflusst werden würde“, schreibt Spangenberg. „Bismarck seinerseits lag der Gedanke sehr fern, dass von einem kulturellen Vorhaben wie dem Wagners für das neue Deutsche Reich Förderliches ausgehen könne.“ Daher nahm er auch von einer privaten Spende, die Wagner in Form von Patronatsscheinen einzuwerben versuchte, Abstand.

Die Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ ist vom 8. April bis zum 11. September 2022 im Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen. Das Gedicht „Dem deutschen Heere“ ist in dem Raum „Zugehörigkeit“ ausgestellt, in der Nachbarvitrine wird eine Skulptur von Bismarck als Schmied gezeigt.


Der Beitrag basiert auf:

Orlando Figes
Die Europäer. Drei kosmopolitische Leben und die Entstehung europäischer Kultur
Berlin 2020

Herfried Münkler
Marx, Wagner, Nietzsche. Welt im Umbruch
Berlin 2021

Marcus Spangenberg
Begleittext zum Gedicht „Dem deutschen Heere“
Katalog zur Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“
Berlin 2022