Antisemit und Weltanschauungsproduzent – Rückblick auf den Vortrag über Houston Stewart Chamberlain

In seinem Vortrag über „Denken und Wirken Houston Stewart Chamberlains im deutschen Kaiserreich“ am vergangenen Donnerstag im Historischen Bahnhof Friedrichsruh leuchtete der Historiker Dr. Sven Fritz eine dunkle Seite des Kaiserreichs aus: Chamberlain avancierte 1899 mit seiner Publikation „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ zu einem einflussreichen Vordenker des modernen, rassisch begründeten Antisemitismus. Dr. Fritz skizzierte Lebenslauf, Weltanschauung und Wirken dieses Publizisten und veranschaulichte damit den Einfluss, den seine Aussagen auf die Öffentlichkeit ausübten.

Dr. Sven Fritz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg, hielt im Historischen Bahnhof Friedrichsruh einen Vortrag über Houston Stewart Chamberlain.

Der Historiker arbeitete in seinem Vortrag zunächst den familiären Hintergrund Chamberlains heraus, der 1855 in eine Familie britischer Kolonialoffiziere hineingeboren wurde. Er verlor bereits als Kleinkind seine Mutter und wuchs „bindungsarm und mit wechselnden Bezugspersonen“ auf. Als junger Erwachsener scheiterte er mit dem Studium unter anderem „an mangelnder Selbstorganisation“. Chamberlain verband sich dann mit der vom Antisemitismus geprägten Weltanschauung Richard Wagners, der seine Kunst „als Tempel des Deutschtums“ begriff. Er freundete sich mit dessen Witwe Cosima Wagner an und heiratete 1908 die Tochter von Richard und Cosima, Eva.

Chamberlain habe als Publizist eine große öffentliche Präsenz erreicht, erläuterte Fritz, sich zu vielen Themen zu Wort gemeldet und dabei den Rassismus zunehmend popularisiert. Dabei sei er ein „nach Erkenntnis strebender Dilettant“ geblieben, der in einer gut lesbaren Sprache behauptet habe, „auf dem Boden der Wissenschaft und des gesunden Menschenverstands“ zu argumentieren. Seine Behauptungen seien schon zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung nicht zu halten gewesen, so die Einordnung des Historikers, der auf „Parallelen zu heutigen Verschwörungstheorien“ hinwies. Die „Dramaturgie“ der Publikationen Chamberlains sei dabei geprägt gewesen durch „die Konstruktion eines krassen Gegensatzes der Germanen zu den Juden“, der „jüdische Einfluss sollte aus der Welt verbannt werden“. 1900 habe er in einer privaten Notiz festgehalten, dass er den Gedanken begrüße, dass alle Juden „erwürgt“ würden.

Chamberlain habe versucht, als „völkischer Intellektueller“ Einfluss auf die deutschen Eliten zu nehmen. Eine Zeitlang sei es ihm gelungen, persönlichen Kontakt zu Kaiser Wilhelm II. herzustellen. Als dieser Versatzstücke aus Chamberlains antisemitischen Publikationen in seine Reden aufgenommen habe, sagte Fritz, habe sich allerdings öffentlicher Protest geregt: Die Angehörigen der jüdischen Minderheit waren in Deutschland gleichberechtigte Staatsbürger.

Fritz zeigte auf, dass Chamberlain es verstand, auf seine Art und Weise politisch mit der Zeit zu gehen: Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs habe er sich zunehmend ausfallend über sein Heimatland England geäußert, 1916 die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen und sei dem völkischen Alldeutschen Verband beigetreten. Damit habe er sich von der einen, im Scheitern begriffenen Staatsform, der Monarchie, ab- und der Idee einer Diktatur zugewandt, die eine moderne „Pax Germanica“ schafften sollte. 1924 trat Chamberlain in die NSDAP ein, so der Historiker, und nahm bis zu seinem Tod 1927 „regen Anteil an Hitlers Werdegang“.

Chamberlain sei ein „Weltanschauungsproduzent“ gewesen, so das Fazit, der durch die Popularisierung des Antisemitismus dem Nationalsozialismus publizistisch eine Brücke gebaut habe.


Literatur zum Thema:

Sven Fritz
Houston Stewart Chamberlain
Rassenwahn und Welterlösung. Biographie
Paderborn 2022