Mitstreiter und Gegner – Bismarck und die Presse in „Von Luther zu Twitter“
Die Wechselwirkungen zwischen der politischen Öffentlichkeit und den modernen Medien beleuchtet zurzeit die Ausstellung „Von Luther zu Twitter“. Zu sehen ist sie bis zum 11. April 2021 im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Allen Interessierten, die angesichts der aktuellen Infektionszahlen mit dem Coronavirus von einer Fahrt in die Hauptstadt absehen, sei der informative Begleitband empfohlen, in dem auch wichtige Entwicklungen im 19. Jahrhundert aufgezeigt werden. In einem der Beiträge analysiert Prof. Dr. Ulrich Lappenküper, Geschäftsführer unserer Stiftung, wie Otto von Bismarck die Medien seiner Zeit nutzte und zu instrumentalisieren versuchte.
Für Bismarck „waren Zeitungen zunächst vor allem ein unverzichtbares Mittel der Informationsbeschaffung“, schreibt Lappenküper. „Schon als Schüler hatte er seiner Mutter aus französischen Blättern vorgelesen, um sie über den Verlauf der Juli-Revolution von 1830 zu informieren.“ Zum Politiker geworden, gewann für ihn ein zweites Medium an Bedeutung, das im 19. Jahrhundert die Nachrichtenübermittlung und damit auch die Berichterstattung in der Presse revolutionierte: die Telegraphie. Beide Medien wusste er über die Jahrzehnte nicht nur zur Information, sondern auch politisch zu nutzen. Die Absicht, die Öffentlichkeit und damit auch die politischen Entscheidungsträger zu beeinflussen, werden in dem Beitrag beispielhaft unter anderem an lancierten Meinungsartikeln, Versuchen der Pressezensur sowie der Emser Depesche veranschaulicht. Deutlich wird, dass die Presse für den preußischen Ministerpräsidenten und ersten Reichskanzler Mitstreiter und Gegner zugleich war.
Die Beiträge des Bandes vermitteln insgesamt einen spannenden Eindruck davon, wie in verschiedenen Epochen technische Neuerungen von politischen Akteuren aufgegriffen wurden, für emanzipatorische Vorhaben (Buchdruck und Reformation) ebenso wie zur Durchsetzung einer Diktatur (Radio und Nationalsozialismus). Für die Gegenwart verknüpft der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Pörksen abschließend das Internet und die sogenannten Fake News. Sie würden massiv angeklickt, dienten damit dem Erzielen von Werbeerlösen ebenso wie der politisch motivierten Desinformation und stifteten Unübersichtlichkeit, weil sie mit bloßem Auge oftmals nicht von seriösen Nachrichten zu unterscheiden seien.
Der Blick zurück auf die Krieg-in-Sicht-Krise im Jahr 1875 erinnert allerdings daran, dass Desinformationskampagnen weder neu noch zwangsläufig erfolgreich sind. In Zeitungsartikeln waren Mutmaßungen über kriegerische Absichten Frankreichs erschienen, das sich anschickte, sein Heer neu zu organisieren. Der Reichkanzler habe zwar jede Verantwortung für die „Kassandrarufe“ abgestritten, erläutert Lappenküper. Dennoch sei die Kampagne, die auf die Möglichkeit eines Präventivschlags gegen Frankreich zielte, für ihn „mit der schwersten außenpolitischen Niederlage seiner Laufbahn“ geendet. Widerstand gegen das Schüren einer Kriegsgefahr sei aus der Opposition, von den Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und Russlands sowie von Kaiser Wilhelm I. selbst gekommen.
Im Anschluss an diese Krise habe Bismarck erfolglos versucht, die Pressefreiheit weiter einzuschränken. Von der Strategie, auch künftig seine politischen Absichten in der Presse zu lancieren, sei er trotz der gerade gemachten Erfahrungen nicht abgewichen. In der Reichstagsrede am 9. Februar 1876 bekundete er: „Es ist ja nicht zu leugnen, dass jeder Regierung, besonders in einem großen Reiche, die Unterstützung der Presse […] auch auf dem Gebiet der auswärtigen Politik wünschenswert sein muss. Es ist deshalb wohl natürlich, wenn Regierungen sich für solche Dinge, die sie nicht gerade in ihrem amtlichen Moniteur sagen wollen, in irgendeinem Blatte soviel weißes Papier reservieren, wie sie brauchen, um gelegentlich ihre Meinung zu äußern.“
Der Begleitband mit weiteren Texten unter anderem des Kurators Prof. Dr. Harald Welzer über den „Strukturwandel von Öffentlichkeiten“ und der Kuratorin Melanie Lyon über Olympe de Gouges und ihre Techniken der Emanzipation kann über die Website des Deutschen Historischen Museums erworben werden.