Zehn Fragen an Prof. Dr. Ewald Frie

Der Otto-von-Bismarck-Stiftung steht bei ihrer Arbeit ein Wissenschaftlicher Beirat zur Seite, dem namhafte Historikerinnen und Historiker angehören. Ihre Expertise bereichert die interdisziplinär und methodisch vielfältige Bismarck-Forschung, die eine zentrale Aufgabe dieser Politikergedenkstiftung ist.

Prof. Dr. Ewald Frie (Foto: © FanyFazii)

In loser Reihenfolge möchten wir die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats mit einem kurzen Fragebogen vorstellen. In dieser Folge antwortet Prof. Dr. Frie.

Zur Person

Prof. Dr. Ewald Frie (geb. 1962) hat an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster Neuere Geschichte, Mittlere Geschichte und Katholische Theologie studiert, nebenbei sammelte er erste Berufserfahrungen als Museumsführer im Mühlenhof-Freilichtmuseum Münster. Mit einer Arbeit über „Die Armenfürsorge der Stadt Münster und die Einführung des Elberfelder Systems“ schloss er sein Studium als Magister Artium ab; es folgten ein wissenschaftliches Volontariat am Westfälischen Institut für Regionalgeschichte Münster sowie die Promotionsschrift „Wohlfahrtsstaat und Provinz. Fürsorgepolitik des Provinzialverbandes Westfalen und des Landes Sachsen 1880-1930“. Während beruflicher Stationen in Düsseldorf und Essen entstand die Habilitationsschrift „Friedrich August Ludwig von der Marwitz 1777 –1837. Biographien eines Preußen“. Seit Oktober 2008 lehrt Prof. Dr. Frie an der Universität Tübingen Neuere Geschichte. 2011 bis 2016 leitete er den Sonderforschungsbereich „Bedrohte Ordnungen“.

Zehn Fragen

1. Was hat Ihre Leidenschaft für Geschichte geweckt?

Ich bin in einer Großfamilie ohne Bücher aufgewachsen und habe mich auf der Suche nach Lesestoff auf die katholische öffentliche Bücherei und die Schulbücher meiner älteren Geschwister gestürzt. Geschichtsbücher waren ein dankbarerer Lesestoff als Chemiebücher.

Sehnsuchtsort in ferner Vergangenheit: Die ostafrikanische Stadt Kilwa (Illustration um 1520, aus „Civitates orbis terrarum vol. I“ von Georg Braun und Franz Hogenberg, Köln 1582)

2. In welches Jahrhundert würden Sie gerne eine Zeitreise unternehmen?

Im ostafrikanischen Kilwa des 15. Jahrhunderts würde ich gern leben oder im chinesischen Chang’an des 7. Jahrhunderts. Zwei Bedingungen müssten erfüllt sein: Erstens würde ich nicht gern eine Unterschichtexistenz führen müssen, und zweitens hätte ich gern die Gewissheit, ins 21. Jahrhundert zurückkehren zu können.

3. Mit welchen drei historischen Persönlichkeiten würden Sie gerne zu Abend essen?

Mit Jean-Marie Déguignet, einem bretonischen Bauern und Soldaten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der faszinierende autobiographische Texte über seine Erlebnisse in Quimper, auf der Krim, in Jerusalem, Algerien, Mexiko und wieder Quimper hinterlassen hat; mit Herrn von Moerner, einem deklassierten brandenburgischen Adligen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dessen Schicksal ich in mehreren Aufsätzen behandelt habe, und mit meiner Stief-Ururoma, die in den frühen 1830er Jahren die letzte meiner väterlichen Vorfahren war, die ihre Heiratsurkunde mit drei Kreuzen unterzeichnet hat. Mit allen dreien würde ich gern über Lebenswelten im Wandel reden. Möglicherweise wären Tischsitten, Kleiderordnung, Gerüche und die Auswahl der Gerichte problematisch – ich bin nicht sicher, ob wir uns einigen würden.

4. Welche Frage würden Sie gerne Otto von Bismarck stellen?

Ausgehend von seinen erfahrungsgesättigten Metaphern würde ich ihn nach dem Zusammenhang von Lebenswelt und Politik fragen.

5. An welche Erfahrungen, die die Deutschen im 19. Jahrhundert gesammelt haben, sollte heute erinnert werden?

Alphabetisierung, Städteassanierung, Konstitutionalisierung – auch wenn die Industrialisierung viele Härten mit sich brachte und die Fortschrittsmetapher nicht überdehnt werden sollte, sollten wir uns erinnern, dass das Leben in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in West- und Mitteleuropa ein ganz klein wenig leichter und gerechter wurde.

6. Welcher Ort der Erinnerung (Museum, Gedenkstätte, historischer Schauplatz) hat Sie besonders beeindruckt?

Besonders beeindrucken mich Texte. Dann begehbare Orte wie Verdun, die Zeche Zollverein oder auch Freilichtmuseen, die bäuerliches Leben in all seinen Ausprägungen präsentieren.

7. Was ist Ihnen als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Otto-von-Bismarck-Stiftung wichtig?

Dass Bismarck nicht als Heros, sondern als Figur in einem Geflecht gezeigt wird, wodurch die Grundstrukturen des 19. Jahrhunderts im Ganzen deutlich werden.

8. Welche Bücher zur deutschen Geschichte insbesondere des 19. Jahrhunderts empfehlen Sie?

Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009
David Blackbourn: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft, München 2007
Lothar Gall: Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt/M. u.a. 1980

9. Welches Buch lesen Sie zurzeit?

Siri Hustvedt: Damals, Reinbek bei Hamburg 2019.

10. Welches Ihrer eigenen Bücher ist Ihnen besonders wichtig?

Die Geschichte der Welt – neu erzählt, München 2017; weil ich bei der Arbeit an diesem Buch so viele neue Dinge erlesen und erfahren habe und weil ich glaube, dass ein anderer Blick auf die Geschichte der Welt erforderlich ist, um sich auf die Zukunft einzustellen.


Bereits erschienen:

Zehn Fragen an Prof. Dr. Joachim Scholtyseck
Zehn Fragen an Prof. Dr. Carsten Burhop