Nachruf auf eine Mythengestalt und postalischer Kitsch. Eine Stichprobe anlässlich von Bismarcks Todestag

Die Hamburger Nachrichten veröffentlichten einen Tag nach Bismarcks Ableben am 30. Juli 1898 einen Nachruf, der ganz im Ton der Mythenbildung gehalten war:

„Daß deutsche Volk ist von einem Schlage getroffen worden, wie es ihn härter und schwerer seit dem Tode Kaiser Wilhelm’s I. nicht empfunden hat. Gestern Abend hat Fürst Bismarck seine Augen zum ewigen Schlummer geschlossen. Welche Feder wäre im Stande, den Schmerz zu schildern, mit der diese Trauerbotschaft das ganze Vaterland erfüllt! Trotz des hohen Alters des heimgegangenen nationalen Helden und seiner schweren Erkrankung wird die Kunde von dem plötzlichen Tode des Allverehrten, Allgeliebten mit der vollen Wucht einer namenlos großen, erschütternden Unglücksbotschaft wirken; […] Auch er, der Bezwinger einer ganzen Welt, der Schöpfer des Deutschen Reiches, hat sterben müssen – ein Mensch wie Alle!“

Bismarcks Entlassung aus allen Ämtern lag zwar bereits acht und die Reichsgründung 27 Jahre zurück. Aber der Altreichskanzler war bis zu seinem Tod im politischen Geschehen des Kaiserreichs präsent. Dazu trugen die Hamburger Nachrichten bei, die sich damit zugleich ein reichsweites Renommee erwarben: Diese Tageszeitung veröffentlichte – zumeist auf Wunsch anonym, aber doch wohlbekannt – Bismarcks Meinungsbeiträge oder jene Artikel ihres politischen Redakteurs Hermann Hofmann, die ihm in Friedrichsruh in die Feder diktiert wurden. Hofmann selbst dokumentierte diese zweifelhafte journalistische Arbeit später voller Stolz in einer zweibändigen Publikation.

Der Nachruf spiegelt die Trauer der Bismarck-Verehrer, die in ihm nicht nur den Reichsgründer sahen, sondern auch eine in Gegenwart und Zukunft hineinwirkende politische Lichtgestalt. Diese Rolle hatte der Altreichskanzler nicht nur Kaiser Wilhelm II. zu verdanken, der die Hoffnungen vieler auf die Durchsetzung einer zeitgemäßen Politik bereits enttäuscht hatte. Auch Bismarck selbst hatte seinem Kultstatus kräftig nachgeholfen. So erlaubte er zahlreichen Unternehmern, mit seinem Namen für ihre Produkte zu werben, empfing namhafte Besucher aus dem In- und Ausland und begrüßte viele der Verehrer, die zu ihm nach Friedrichsruh pilgerten. An seinem 80. Geburtstag am 1. April 1895 jubelten ihm Zehntausende zu – es war der öffentlichkeitswirksame Höhepunkt seiner Verwandlung in einen Mythos.

– Ausführlich nachzulesen ist diese Entwicklung in dem Beitrag „Ein Mythos entsteht. 1890 – 1918“,
erschienen auf Bismarck-Biografie.de. –

So wie der Nachruf der Hamburger Nachrichten geprägt war von der persönlichen Verbundenheit, zeigten viele Bismarck-Verehrer ihre Anteilnahme durch das Versenden von Postkarten mit Trauermotiv, die bald von geschäftstüchtigen Verlegern und Druckern in den Umlauf gebracht wurden. Wir zeigen anlässlich des Todestages aus unserer Sammlung eine Auswahl dieser Trauerpostkarten:

Literatur:

Nachdruck des Nachrufs der Hamburger Nachrichten in: Johs. Penzler, Fürst Bismarck nach seiner Entlassung, Leipzig 1898

Hermann Hofmann, Fürst Bismarck 1890 – 1898. Nach persönlichen Mitteilungen des Fürsten und eigenen Aufzeichnungen des Verfassers, nebst einer authentischen Ausgabe aller vom Fürsten Bismarck herrührenden Artikel in den „Hamburger Nachrichten“, Leipzig 1913