„Dropping the Pilot“. Das Geschenk eines englischen Freundes
Ob Otto von Bismarck über „Dropping the Pilot“ schmunzeln konnte, ist nicht überliefert. Möglicherweise war sein – von ihm als sehr schmerzlich empfundener – Rücktritt von allem Ämtern noch zu frisch, als in Friedrichsruh dieses Geschenk eintraf: eine Lithografie der Karikatur, mit der John Tenniel für die englische Zeitschrift „Punch“ seinen politischen Abgang im März 1890 in eine Bildsprache fasste, die auf Anhieb zu verstehen war und seitdem immer wieder neu adaptiert worden ist (zur Karikatur siehe: Ein Steuermann, kein Lotse).
Absender war ein guter Freund Herbert von Bismarcks, Archibald Philip Primrose, 5. Earl of Rosebery (1847 – 1929). Beide hatten sich 1882 auf Anregung Roseberys, einem Verehrer Otto von Bismarcks, in dem vornehmen Londoner Stadthaus Lansdowne House kennengelernt. Rosebery, der im Laufe seiner politischen Karriere verschiedene Regierungsämter innehatte – unter anderem als Außenminister, Lordsiegelbewahrer und für wenige Monate als glückloser Premierminister –, war neugierig auf den fast gleichaltrigen deutschen Diplomaten und Reichskanzlersohn Herbert von Bismarck gewesen, der von seinem Vater auf diplomatische Missionen in europäische Hauptstädte geschickt wurde. Wie Roseberys Schwiegersohn und Biograph Robert Crewe-Milnes, 1. Marquess of Crewe, schreibt, entwickelte sich eine enge Freundschaft. Diese überstand auch die damals virulenten politischen Spannungen zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich angesichts der jeweiligen Auffassungen zum „Kolonialerwerb“ in Afrika.
1885 reiste Rosebery nach Deutschland. Dies geschah zwar nicht in offizieller diplomatischer Mission, aber doch in Absprache mit seiner Regierung, berichtet Crewe-Milnes, um in wichtigen politischen Fragen zu sondieren. Dazu zählte, dass Großbritannien in der Debatte über die völkerrechtliche Stellung des Suez-Kanals das Deutsche Reich zu sehr an der Seite Frankreichs verortete sowie angesichts von Streitigkeiten um die afghanische Grenze zu sehr an der Russlands. Rosebery traf am 22. Mai in Berlin ein und aß mit Herbert von Bismarck zu Abend, absolvierte eine Sightseeing-Tour und wurde, möglicherweise schon am folgenden Tag, Otto von Bismarck vorgestellt. Sie verbrachten mehrere Stunden zusammen, nahmen Mittag- und Abendessen ein und am nächsten Tag stattete der Reichskanzler dem Gast aus London einen Überraschungsbesuch im Hotel ab. Noch Jahre später, schreibt Crewe-Milnes, pflegte Rosebery launig zu erzählen, dass ihm in seinem Leben nur zwei Menschen gründlich erschreckt hätten: Queen Victoria und sein Überraschungsgast Otto von Bismarck.
Quellen:
Darling Downs Gazette: Lord Rosebery and Prince Bismarck, 18. Juli 1885 (Bericht des Paris-Korrespondenten der Times)
Inventarliste des Bismarck-Museums in Friedrichsruh
Robert Crewe-Milnes, 1. Marquess of Crewe KG, PC: Lord Rosebery, London 1931 (zwei Bände)
Die Karikatur „Dropping the pilot“ ist als März-Kalenderblatt im Wandkalender „Durchlauchtigster Fürst“ zu sehen. Im Februar wurde der Ehrenbürgerbrief der Hansestadt Wismar für Otto von Bismarck vorgestellt.