Der Ehrenbürgerbrief der Hansestadt Wismar für Otto von Bismarck

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Der Ehrenbürgerbrief der Stadt Wismar, verliehen an Otto von Bismarck am 1. April 1895. Kolorierte Federzeichnung auf Pergament, Bismarck-Museum, Friedrichsruh, Inventar-Nr. A 327 (© Otto-von-Bismarck-Stiftung / Fotograf: Jürgen Hollweg)

Obwohl er Preuße war, erfreute sich Reichskanzler a. D. Otto von Bismarck in den bürgerlichen Kreisen der Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz großer Beliebtheit. Vielerorts wurde sein 80. Geburtstag am 1. April 1895 gefeiert, die Städte Schwerin und Wismar verliehen ihm sogar die Ehrenbürgerwürde.

Dokumente aus dem Archiv der Hansestadt Wismar belegen, dass die Initiative für die dortige Verleihung von zahlreichen Bürgern ausging. Sie sammelten mehrere Hundert Unterschriften und überzeugten so Bürgermeister Adolf Fabricius, den Rat der Stadt und den Bürgerausschuss. Da in Erfahrung gebracht wurde, wie in den Akten zu ersehen ist, dass auch andere Städte die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Bismarck planten, wurden zur angemessenen Umsetzung des Vorhabens 1.000 Mark aus der Kämmereikasse bewilligt.

Der Ehrenbürgerbrief der Hansestadt Wismar wurde Bismarck in einer reich verzierten Kapsel in Friedrichsruh überreicht. Der Brief zeigt eine Stadtansicht vom Wasser aus sowie auf der linken Seite bedeutende Gebäude, an erster Stelle den Marktplatz mit dem Wahrzeichen, der Wismarer Wasserkunst. Dabei handelt es sich um ein Brunnenhäuschen, das 1580 im Stil der niederländischen Renaissance errichtet worden war und der Versorgung mit Trinkwasser diente. Die Kosten für die Erstellung des Ehrenbürgerbriefs sind ebenfalls im Stadtarchiv dokumentiert: Der Hofdekorationsmaler Michaelsen und der Dekorationsmaler Krause berechneten für ihre Arbeit 200 Mark und der Hoflieferant Hinzmann 450 Mark. Erhalten ist auch das Schreiben Bismarcks, mit dem er sich am 4. Oktober 1895 persönlich für die Ehrenbürgerwürde bedankte.

Es war keineswegs selbstverständlich, dass in Mecklenburg ein Preuße große Popularität erlangen konnte, wie in dem Buch „Alles 50 Jahre?“ von Bernd Kasten nachzulesen ist. Lange war demnach im kollektiven Gedächtnis haften geblieben, dass Preußen während des Siebenjährigen Kriegs 1757 ins mecklenburgische Gebiet und dabei auch in Wismar – damals schwedisches Staatsgebiet – einmarschiert war und Kontributionen sowie Soldaten eingefordert hatte. 1866 wurde der Beitritt von Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz zum Norddeutschen Bund zwar dort kontrovers diskutiert. Die Zusage wurde dann aber ebenso wie die Teilnahme an der Reichsgründung 1871 aus Sicht der Herzöge und Rittergutbesitzer vor allem durch eine grundlegende Entscheidung begünstigt: Obwohl die Verfassung des Norddeutschen Bundes und die darauf aufbauende Reichsverfassung das gleiche, geheime Männerwahlrecht vorsahen, war es den Bundesstaaten erlaubt, Landtage nach eigenem Recht abzuhalten. Und so blieb es in den beiden mecklenburgischen Großherzogtümern bei dem „Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich“. Dieser Vertrag war 1755 von den Herzögen und Landesständen geschlossen worden und sah die Einberufung ständischer Landtage vor, die dementsprechend nicht von der Bevölkerung gewählt wurden. Alle Versuche im Reichstag, die mecklenburgische Verfassung zu reformieren, scheiterten im Bundesrat.

Dennoch veränderte sich das Leben in Mecklenburg unter dem Einfluss reichsweiter Entwicklungen, die während der Kanzlerschaft Bismarcks angestoßen wurden. Dazu zählten auch ganz praktisch die Einführung einer gemeinsamen Währung und die Vereinheitlichung von Maßeinheiten. Mancher Unternehmer nutzte die neuen Rahmenbedingungen erfolgreich – zu ihnen zählte auch Rudolph Karstadt, der 1881 in der Wismarer Innenstadt sein erstes Manufactur-, Confections- und Tuchgeschäft eröffnete.

Das langsame politische Entwicklungstempo in Mecklenburg scheint Bismarck gelassen gesehen zu haben, war er doch selbst auch ein Gutsbesitzer, der das Leben nach tradierten Regeln schätzte. Dennoch wird ihm ein Zitat oftmals zugeschrieben, für das sich kein Beleg finden lässt: „Wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 50 Jahre später.“ Diese Aussage fiel sinngemäß erst 1919 in der Rede eines Sozialdemokraten, des mecklenburgischen Landtagsabgeordneten Franz Starosson, wie Kasten recherchiert hat. Starosson griff damit ein Bonmot auf, das – mutmaßlich erstmals – im Dezember 1837 in der Neuen Zeitschrift für Musik auf Königsberg bezogen abgedruckt, immer wieder abgewandelt und wiederholt falsch zugeordnet wurde – auch der erste Bundespräsidenten Theodor Heuss behauptete später nicht (!), dass in Schleswig-Holstein die Welt 50 Jahre später untergehe.

 

Vielen Dank an Dr. Nils Jörn, Archivar der Hansestadt Wismar, und Daniel Nieswand sowie an die Kollegen der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, Stuttgart, für ihre Quellendurchsicht und hilfreichen Auskünfte.

Literatur:
Bernd Kasten: Alles 50 Jahre später? Die Wahrheit über Bismarck und Mecklenburg, Rostock 2013


Der Ehrenbürgerbrief ist als Februar-Kalenderblatt im Wandkalender „Durchlauchtigster Fürst“ zu sehen. Im Januar wurde die Standuhr vorgestellt, die im Eingangsbereich des Bismarck-Museums Friedrichsruh steht.