Kalenderblatt: Die Schlachtengalerie
Die Toten beherrschen den ersten Eindruck, sie liegen unübersehbar auf Augenhöhe der Betrachter. Neben ihnen leiden Verwundete, wer kann, versucht zu helfen. Im Mittelpunkt der großformatigen Gemälde stehen aber andere: Die Könige, die in ruhmreichen Schlachten das Land zur Grande Nation machten – jedenfalls nach Ansicht von König Louis-Philippe (1773 – 1850), der die Schlachtengalerie im Schloss Versailles, die Galerie des Batailles, in Auftrag gegeben hatte.
Als Louis-Philippe nach der Julirevolution von 1830 zum König erklärt wurde, war die Zukunft des Schlosses ungewiss, selbst ein Abriss wurde diskutiert. Der neue Monarch aber rettete es, indem er entschied, es in ein Nationalmuseum umzuwandeln. Dabei beabsichtigte er, durch die Erzählung der ruhmreichen Vergangenheit das politisch tief gespaltene Land zu einen und zugleich sein Ansehen und seine Legitimation zu stärken. Louis-Philippe griff damit auf die bereits 1816 vorgelegte Idee des Politikers und Pädagogen Laurent-Pierre de Jussieu zurück, wie bei dem Kunsthistoriker Thomas W. Gaehtgens nachzulesen ist. Jussieu hatte im Sinne einer historischen Volksbildung die Ansicht vertreten, dass die Geschichte reichlich Anschauungsmaterial dafür biete, dass Frankreich Frieden, Wohlstand und nationale Größe allein dem Königtum verdanke.
Die Bauarbeiten dauerten von 1833 bis 1837, für die Ausstellungssäle wurden im Südflügel die ehemaligen Prinzenwohnungen zerstört. Mit den Gemälden der Schlachtengalerie wurden namhafte Maler beauftragt, wobei die Schnelligkeit der Fertigstellung Vorrang vor dem künstlerischen Wert haben sollte. Dies wurde ebenso kritisiert wie das Zuschneiden oder Erweitern einiger Bilder, damit sie in das vorgesehene Format passten.
Auch Eugène Delacroix musste bei „Die Schlacht von Taillebourg“ einen Eingriff hinnehmen. Das Gemälde zeigt die militärische Auseinandersetzung im Jahr 1242 zwischen dem französischen und dem englischen König in einem dichten Getümmel voller Grausamkeit. Der Kunsthistoriker Matthias Eberle ordnet Delacroix, der 1830 mit „Die Freiheit führt das Volk“ bereits eine Bildikone geschaffen hatte, der damals noch neuen Strömung der realistischen Historienmalerei zu. Als eine Quelle habe ihr die Geschichtswissenschaft gedient, die seit der beispiellosen Französischen Revolution zunehmend den Gedanken aufgegeben habe, dass sich die gottgegebene Geschichte wiederhole. Der Historiker wurde stattdessen, so Eberle, in „der Rolle des Erzählers […] zu der Instanz, die den Gang durch die Geschichte ordnet“. Eine wichtige Inspirationsquelle sei außerdem der realistische Historienroman gewesen. Als dessen Begründer gelte der Schriftsteller Walter Scott mit dem 1814 erschienenen „Waverley“, Eugène Delacroix habe mehrere Bilder nach dessen Erzählungen gemalt.
Die Skizze für das Gemälde „Die Schlacht von Taillebourg“ zeigt entsprechend dieses realistischen Ansatzes eine größere Anzahl an Kampfmotiven bei kleineren Proportionen. Auf Wunsch seines Auftraggebers aber verringerte Delacroix diese Motive, so die Analyse Gaehtgens, und vergrößerte die Proportionen, um den König herauszustellen. Trotz dieser Rücksichtnahme hebe sich das Werk durch seine dunklen Farben und die expressiven Motive von den anderen Gemälden in der Galerie ab. „Hier haben wir endlich eine wahre Schlacht“, zitiert Gaehtgens den zeitgenössischen Kunstkritiker Louis Batissier. „Dieses Mal schlägt, tötet und verletzt man sich, man stirbt, man triumphiert“.
Das Publikum verlor schon bald nach der Ausrufung der Zweiten Französischen Republik 1848 das Interesse am Nationalmuseum Louis-Philippes. Nach 1945 fiel die Entscheidung, die historischen Räume so zu rekonstruieren, wie sie unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. geschaffen worden waren. Erhalten geblieben ist die Schlachtengalerie, die am Ende des Rundgangs durch die Schlossräume besichtigt werden kann. Während die Ruhmestaten der Könige in der kulturellen Erinnerung der Französischen Republik verblassen, erzählt Delacroix‘ Gemälde immer noch von dem zeitlosen Schrecken des Krieges.
Quellen:
Matthias Eberle
Im Spiegel der Geschichte. Realistische Historienmalerei in Westeuropa 1830 – 1900
München 2017
Thomas W. Gaehtgens
Versailles als Nationaldenkmal. Die Galerie des Batailles im Musée Historique von Louis-Philippe
Antwerpen und Berlin 1985
Zuvor erschienen: Kalenderblatt: Großes Fest im Schloss Versailles