Das Reich als Föderativnation – Vortrag von Prof. Dr. Dieter Langewiesche
Welche Gestaltungspotenziale bot der Föderalismus bei der (Neu-)Gestaltung der staatlichen Ordnung im Deutschland des 19. Jahrhunderts? Auf Einladung der Otto-von-Bismarck-Stiftung lotete Prof. Dr. Dieter Langewiesche (Universität Tübingen) in seinem Vortrag „Das Reich als Föderativnation“ im Historischen Bahnhof Friedrichsruh die historischen Möglichkeiten aus und stellte dabei die Umbrüche von 1815, 1848 und 1866/67 in den Mittelpunkt seiner Analyse.
Ausgangspunkt seiner Geschichtsdeutung, wie er es nannte, war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Dieses Alte Reich, das 1806 in der napoleonischen Kriegsära aufgelöst wurde, stellte nach Ansicht des Historikers Erfahrungen bereit, die als Alternativangebote zur Nationalstaatsbildung verstanden werden konnten. Diese These veranschaulichte er für die Zeit des Deutschen Bundes (1815 – 1866) am Beispiel zentraler politischer Initiativen, die jeweils unterschiedlichen föderativen Konzeptionen folgten. Dazu zählten die Frankfurter Paulskirchenverfassung von 1849, die einen föderativen Bundesstaat anstrebte und dabei dem Parlament die wichtigste Rolle zuwies, sowie das Wiener Reformvorhaben, die Völker der Habsburgermonarchie unter Zubilligung von Sprach- und Autonomierechten in einem föderativen Nationalitätenstaat zu integrieren.
Langewiesche widerspricht unter Hinweis auf andere europäische Staaten mit seiner Deutung der Interpretation, die Reichsidee habe Deutschland in der staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklung gehemmt. Er plädiert dafür, die historische Föderativnation nicht von ihrem Ende 1871 her zu verstehen, als sie in einen föderativen Nationalstaat mündete,und ihr nicht die „deutschen Katastrophen des 20. Jahrhunderts“ anzulasten.