Ghosts at Versailles

,

Ghosts at Versailles, Karikatur von Bernard Partridge (1861 – 1945), erschienen in: The Punch, Großbritannien, 7. Mai 1919 (Druck, © Otto-von-Bismarck-Stiftung, Inventar-Nr.: ZSg 2757)

An der Pariser Friedenskonferenz, die am 18. Januar 1919, genau 48 Jahre nach der Kaiserproklamation von 1871, eröffnet wurde, nahmen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges teil. Bis Ende Mai arbeitete eine interalliierte Vorkonferenz die Friedensbedingungen ohne die Beteiligung der unterlegenen Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn aus. Erst danach wurden die Bedingungen den Mittelmächten und deren Nachfolgestaaten vorgelegt. Die folgenden Verhandlungen verliefen kurz und zumeist schriftlich.

Die englische Satirezeitung The Punch veröffentlichte am 7. Mai 1919, also noch während der internen Verhandlungen der Alliierten, eine Karikatur, die Kaiser Wilhelm II. am Schreibtisch sitzend zeigt. Er trägt eine preußische Uniform und eine Pickelhaube, um ihn in den Augen der Leser eindeutig als deutschen Militär zu identifizieren. Widerwillig muss er mit einer Feder seine Unterschrift unter ein Dokument mit der Aufschrift „Peace Terms 1919“ setzen. Der Spiegelsaal des Versailler Schlosses wird durch die hohen Glasfenster symbolisch dargestellt.

Im Hintergrund erscheinen schemenhaft – als Geister dargestellt – drei Herren, die 48 Jahren zuvor ebenfalls im Spiegelsaal standen: General Helmuth von Moltke (d. Ältere), Reichskanzler Otto von Bismarck und in der Mitte Kaiser Wilhelm I. Die Kaiserproklamation von 1871 – die Zahl wird ebenfalls schemenhaft zur Verdeutlichung der Aussage über den Köpfen dargestellt – wird somit in direktem Zusammenhang mit dem neuerlichen Ereignis in Versailles gebracht.

Anders als in dieser Darstellung war Wilhelm II. im Mai 1919 allerdings nicht mehr im Amt. Durch seine Flucht ins niederländische Exil hatte er sich seiner Verantwortung entzogen, den Friedensvertrag unterzeichnen zu müssen. Das Dokument wurde nach vergeblichen Einwänden der deutschen Regierung am 28. Juni 1919 von Außenminister Hermann Müller (SPD) und Verkehrsminister Johannes Bell (Zentrum) unter Protest unterschrieben.

Auch über der Weimarer Republik schwebte ein „Geist von Versailles“. Dadurch, dass der Friedensvertrag von Politikern unterschrieben wurde und in Deutschland die harten Bedingungen, mit denen die Alliierten ein Wiedererstarken Deutschlands verhindern wollten, als inakzeptabel galten, wurde die Niederlage, die mit diesem Vertrag besiegelt wurde, nicht den Militärs angelastet, sondern den Parteien des Reichstages. Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg verdrehten die Fakten und begründeten so die berüchtigte „Dolchstoßlegende“: Die Soldaten an der Front seien ungeschlagen und hätten weitergekämpft und gesiegt, wenn nicht in Deutschland zuerst die Matrosen und dann auch die Arbeiter in Berlin und anderen Städten gestreikt hätten und dadurch den Frontsoldaten in den Rücken gefallen wären. Dieses Narrativ wurde dankbar von den republikfeindlichen Parteien aufgegriffen, um die Demokratie zu destabilisieren und, je nach Ausrichtung, die Monarchie wieder herzustellen oder eine rechtsgerichtete Diktatur zu errichten. So vergiftete dieser andere Geist von Versailles das innenpolitische Klima der 1920er-Jahre und begünstigte den Untergang der Demokratie.


Dieses besondere Exponat wurde in der Sonderausstellung „„1870/71. Reichsgründung in Versailles“ gezeigt, der Katalog ist in unserem Online-Shop und in unseren Ausstellungshäusern in Friedrichsruh erhältlich.

Zuvor erschienen: Das besondere Exponat: Zusammenkunft der National-Versammlung im Ballspielhause zu Versailles