Medaillon mit Locke von Karl Ludwig Sand

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Deutschland, nach 1820, Haar, Papier, Glas, Metall (Dauerausstellung im Historischen Bahnhof Friedrichsruh, Inventar-Nr.: A 605)

Am 23. März des Jahres 1819 wurde zum ersten Mal in der jüngeren deutschen Geschichte ein politisches Attentat verübt, das die Politik im Zeitalter der Restauration (1815 –1830) sowie des „Vormärz“ (1830 – 1848) nachhaltig bestimmen sollte – an diesem Tag ermordete der 23-jährige Theologiestudent Karl Ludwig Sand einen der wichtigsten Theaterdichter seiner Zeit: August von Kotzebue. An diese Tat wird in der Dauerausstellung der Otto-von-Bismarck-Stiftung im Historischen Bahnhof von Friedrichsruh erinnert. Dort ist eine in ein Medaillon eingelassene Haarlocke des Täters ausgestellt.

Am Mittag jenes 23. März ging Karl Ludwig Sand zum Hause seines Opfers Kotzebue in Mannheim und versuchte, unter einem Vorwand ein Gespräch mit ihm zu führen. Da Kotzebue nicht zu sprechen war, musste er sein Vorhaben zunächst aufgeben, kehrte aber einige Stunden später zurück. Dieses Mal wurde Sand vorgelassen, holte seinen Dolch heraus und stach dem Dichter, den er als „Verräter des Vaterlandes“ betrachtete, mehrfach in die Brust. Plötzlich bemerkte Sand, dass der vierjährige Sohn Kotzebues den Mordanschlag gesehen hatte. In Panik drückte er Kotzebues herbeigeeiltem Diener sein Bekennerschreiben in die Hand, floh aus dem Haus und stieß sich auf offener Straße den Dolch zwei Mal in den eigenen Leib. Schwer verletzt und blutüberströmt wurde er ins Hospital gebracht, überlebte aber seinen Selbstmordversuch. Das Attentat sorgte in der deutschen Öffentlichkeit für einiges Aufsehen und es stellte sich die Frage, wer dieser Sand war und was ihn zu einer solchen Tat bewogen haben mochte?

Karl Ludwig Sand wurde 1795 im oberfränkischen Wunsiedel geboren. 1814 schrieb er sich an der Universität Tübingen ein und wurde Mitglied des Corps Teutonia. Als junger politisierter Student zog er, beeinflusst durch seinen Hass auf die Besetzung seiner Heimat durch Napoleons Truppen, als Soldat in den letzten antinapoleonischen Befreiungskrieg und die Schlacht bei Waterloo 1815. Nach der Rückkehr setzte er sein Studium der Theologie in Erlangen fort; dort war er Gründungsmitglied der Erlanger Burschenschaft.

1817 besuchte er das Wartburgfest, auf dem unter anderem die Schriften des konservativen Dichters August von Kotzebue verbrannt wurden. Sand war nicht nur Teilnehmer, sondern beteiligte sich auch an der Organisation des Festes. Zugleich nutzte er die Gelegenheit, Exemplare eines politischen Manifests auszuteilen, in dem er eine vereinte und gesamtdeutsche Burschenverbindung forderte. Noch im selben Monat wechselte Sand an die Universität Jena, dem damaligen Zentrum der nationalradikalen Bewegung. Dort schloss er sich der 1815 gegründeten Jenaer Urburschenschaft an.

Karl Ludwig Sand ermordet August von Kotzebue, Zeichnung, nach 1819, erschienen in: Beilage zum Bundeslied der Jenaer Burschenschaft (Deutsches Historisches Museum / DGDB)

Währenddessen arbeitete der 1761 geborene August von Kotzebue, ein studierter Jurist, als Staatsrat des Russischen Zarenreiches in Weimar. Von dort sollte er die Regierung Zar Alexanders I. über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Deutschen Bund informieren. Zugleich genoss Kotzebue den Ruf eines renommierten und beliebten Dramatikers. Er hatte zahllose Bühnenstücke veröffentlicht, die den Theatern viel Geld in die Kassen spülten. Zudem war er Gründer des „Literarischen Wochenblatts“, das die national-liberalen Ansichten der Studenten verspottete. Diese beiden Funktionen, Staatsrat des Zarenreichs und Gründer einer antiliberalen Zeitung, führten dazu, dass die Antipathie unter der deutschen Studentenschaft gegenüber Kotzebue zunahm. Nach der Verbrennung seiner Stücke auf dem Wartburgfest zog er von Weimar nach Mannheim. Dem Attentat Sands konnte er damit aber nicht entrinnen.

Nach der Umsetzung seiner Tat und seinem versuchten Suizid wurde Sand inhaftiert, aber medizinisch betreut, da der zweite Dolchstoß seine Lunge verletzt hatte. Seine Mordtat bereute er jedoch nicht, glaubte vielmehr, das Richtige getan zu haben. Nach längerer Überprüfung des Falls wurde Karl Ludwig Sand am 5. Mai 1820 vom Mannheimer Hofgericht zum Tode verurteilt. Als er vom Urteil hörte, reagierte er erfreut. Als er am 20. Mai 1820 zum Schafott geführt wurde, winkte er der Menge zu. Nach dem Vollzug des Urteils stürmten Sympathisanten Sands auf das Schafott, schnitten ihm Haarlocken ab, brachen das Holz aus der Vorrichtung und tunkten ihre Taschentücher in sein Blut. Sand stieg zu einem Märtyrer auf, der für die nationale Sache sein Leben gelassen hatte; seine Grabstätte entwickelte sich zu einem Wallfahrtsort.

Für die Gleichgesinnten Sands begann nun aber eine Zeit staatlicher Repressionen und Verfolgung. Als Antwort auf das Attentat an Kotzebue und die stetig wachsende nationalliberale Bewegung verabschiedeten die elf größten Staaten des Deutschen Bundes unter dem Vorsitz des österreichischen Leitenden Ministers Klemens Fürst von Metternich 1819 die sogenannten Karlsbader Beschlüsse. Diese verboten unter anderem die Burschenschaften und schränkten die Pressefreiheit ein; außerdem führten sie zu einer stärkeren Überwachung der Universitäten.

Karl Ludwig Sand auf dem Blutgerüste zu Mannheim (20. Mai 1820), Radierung eines unbekannten Künstlers, um 1820 (Stiftung Preußischer Kulturbesitz / DGDB)

Die Erinnerung an den „Märtyrer“ Sand trug ihren Teil dazu bei, dass die nationale und liberale Einheitsbewegung trotz der Eindämmung des politischen Lebens nicht aufgab. Auch die Studenten und ihre Burschenschaften kämpften weiterhin für ein geeintes und freiheitliches Deutschland. Die von Sand angestrebte deutsche Einheit wurde schließlich 1871 realisiert, unter maßgeblicher Mitwirkung des damaligen preußischen Ministerpräsidenten und späteren Reichskanzlers Otto von Bismarck. Zwar unterschieden sich der radikale Demokrat Sand und der konservative Machtpolitiker Bismarck in ihren politischen Grundsätzen fundamental, dessen ungeachtet verband sie das Ziel der deutschen Einheit, die Bismarck freilich lange als „Schwindel“ betrachtet hatte.

Die Haarlocke, für viele national Gesinnte eine Art von Reliquie, hat sich im Nachlass Otto von Bismarcks erhalten; er hatte sie zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 1885 von der Tochter des Amtschirurgen als Geschenk erhalten. Die Haarlocke ist in einem bronzenen Medaillon mit einer gläsernen Vorderseite eingeschlossen. Die Burschenschafter, zu denen Sand gehörte, trugen bevorzugt die sogenannte altdeutsche Kleidung, die einen Bezug zur Reformationszeit andeuten sollte, und ließen sich lange, lockige Haare wachsen, um an frühere Traditionen zu erinnern.