Ein vermeidbarer Krieg. Rückblick auf den Vortrag von Prof. Dr. Michael Epkenhans
Einen aufschlussreichen Blick auf den Verlauf des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 aus militärischer Perspektive bot Prof. Dr. Michael Epkenhans bei seinem gestrigen Vortrag im Historischen Bahnhof Friedrichsruh. Die sehr gut besuchte Veranstaltung fand im Rahmen des Begleitprogramms der Sonderausstellung „1870/71. Reichsgründung in Versailles“ statt und bot vertiefende Einsichten, die im Anschluss zu einer lebhaften Diskussion führten.
Epkenhans – bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im März 2021 u.a. Leitender Wissenschaftler im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, außerdem von 1996 bis 2009 Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung – zeichnete zunächst kurz die wichtigsten historischen Phasen der deutschen Nationalstaatsbewegung im 19. Jahrhundert nach und ordnete diese in den europäischen Kontext ein. Nach Ende des Deutschen Kriegs 1866 – dem zweiten der sogenannten Einigungskriege – sei eine politische Situation entstanden, die den Ausbruch eines Krieges für Preußen wie für Frankreich habe denkbar erscheinen lassen: Österreich sei aus Deutschland „herausgedrängt“ worden und Frankreich habe befürchtet, durch eine deutsche Einigung „beschädigt“ zu werden. Epkenhans betonte aber, dass der Krieg keineswegs unausweichlich gewesen sei, die französische Regierung unter Kaiser Napoléon III. hätte sich nach dem schon beigelegten Streit über die spanische Thronfolge auch gegen eine Kriegserklärung entscheiden können. Der „Emser Depesche“ sprach er in dieser Entwicklung keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Die Forschung habe gezeigt, dass die Entscheidung, Preußen den Krieg zu erklären, schon vor deren Bekanntwerden in Paris gefallen sei.
Ausführlich ging der Historiker dann auf wesentliche militärische Faktoren ein, die sich als kriegsentscheidend erweisen sollten: Dazu zählten die Frankreichs Fehleinschätzung der eigenen Stärke sowie die – falsche – Annahme, die süddeutschen Staaten und Österreich wären eigene Verbündete. Tatsächlich aber hielt sich Österreich auf Druck Russlands aus dem Krieg heraus, während die Süddeutschen sich auf die Seite Preußens stellten. Epkenhans erläuterte den langen Vorlauf der strategischen Überlegungen auf preußischer Seite und die fehlende Strategie Frankreichs sowie die Vorteile der deutschen Truppen durch schnelle Transportmöglichkeiten mit der Eisenbahn und durch die Ausstattung mit damals modernen Waffen.
Unter Hinweis auf wichtige Schlachten in der ersten Phase des Krieges bis Anfang September 1870 sowie auf die Belagerungen von Straßburg und Paris betonte Epkenhans, dass dieser Krieg von beiden Seiten nicht nur auf den Schlachtfeldern mit hohen Verlusten geführt wurde. Die deutschen Soldaten waren auch mit einem Partisanenkrieg konfrontiert, auf den sie gegenüber der Zivilbevölkerung mitleidslos reagierten.
Ausbruch und Verlauf des Kriegs waren nach Einschätzung von Epkenhans von „nationalen Leidenschaften“ geprägt, die sich auch nach der Reichsgründung und dem Friedensschluss nicht beruhigten – die Annexion des Elsass und von Teilen Lothringens durch das Deutsche Reich sollte in den nächsten Jahrzehnten einer Aussöhnung im Wege stehen.
Prof. Dr. Michael Epkenhans wird am kommenden Mittwoch, 25. August 2021, um 18.30 Uhr im Prinzenpalais in Schleswig einen weiteren Vortrag halten, dann über „Die Reichsgründung“. Zu dieser Veranstaltung laden das Landesarchiv Schleswig-Holstein und die Otto-von-Bismarck-Stiftung gemeinsam ein.
Die Sonderausstellung „1870/71. Reichsgründung in Versailles“ ist bis zum 14. November im Bismarck-Museum und im Historischen Bahnhof in Friedrichsruh zu sehen (Dienstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr, ab Oktober 10 – 16 Uhr, Eintritt vier Euro oder ermäßigt).