Kalenderblatt: Das Turmhaus, 1884
Als sich der Hamburger Architekturfotograf und Verleger J.H. Strumper 1884 rund um den Wohnsitz des ersten Reichskanzlers auf Motivsuche für die Bildermappe „Friedrichsruh“ machte, dürfte er sofort auf das Turmhaus aufmerksam geworden sein: Weder glich es dem wuchtigen Herrenhaus Otto von Bismarcks noch dem rustikalen Brauhaus oder der Försterei, die sich baulich in ihre ländliche Umgebung eingefügt hatten. Die kleine Villa auf der anderen Seite des heute sogenannten Schlossteichs machte einen eher vornehmen Eindruck und wurde zudem von einem ungewöhnlichen kleinen Turm gekrönt.
Das Gebäude gehörte einst zu den Unternehmungen des rührigen Hamburger Gastronomen Heinrich-August Specht. Er hatte zunächst in Friedrichsruh das Hotel-Restaurant „Frascati“ gebaut und dann die Gaststätte im Bahnhof hinzugepachtet. Den Bewegungsradius seiner (potenziellen) Gäste im Blick, eröffnete er am nordwestlichen Ende des kleinen Ortes noch einen weiteren Gastronomiebetrieb, eine Weinstube.
Dieses Lokal – zunächst ohne Türmchen – wurde schnell zum Ausgangspunkt für alle, die von der kleinen Anhöhe nördlich des Schlossteichs die Aussicht genießen wollten. Aber wohl nicht alle Ausflügler schätzten die körperliche Anstrengung dieses „Aufstiegs“, zumal vor allem die Kleider der vornehmen Hamburger Damen im 19. Jahrhundert dazu wenig geeignet gewesen sein dürften. Um also seinen Gästen die Beschwerlichkeiten zu ersparen, ließ der Gastronom einen kleinen Turm mit einer Aussichtsplattform bauen. So ungewöhnlich wie dieses Ausflugslokal nun war, erlangte es schnell eine gewisse Berühmtheit: Ansichten wurden in Hamburg als Souvenirs verkauft.
Das inzwischen denkmalgeschützte Turmhaus steht heute noch strahlend weiß am Schlossteich und wird als Wohngebäude genutzt. Für einen Blick auf Höhe der Baumkronen oder gar über sie hinweg steht es ebenso wenig noch zur Verfügung wie ein zweiter Friedrichsruher Aussichtspunkt, den der Sachsenwald für sich erobert hat: Der Schneckenberg südlich der Bahnlinie ist heute mit Bäumen bewachsen, zu entdecken ist er aber immer von dem Fußweg aus, der im Rücken des Denkmals „Hirschgruppe“ vorbeiführt. Ein weiter Blick über die Wipfel ist einige Kilometer weiter nördlich möglich. In dem kleinen Wald Hahnheide, der noch im Mittelalter mit dem Sachsenwald verbunden war, steht ein hölzerner Turm mit einer Aussichtsplattform in 126 Meter Höhe über dem Meeresspiegel.
Vielen Dank an Nikolaj Müller-Wusterwitz für die Hinweise zur Geschichte des Turmhauses. Informationen zum Schneckenberg bietet die Website der EntdeckerRouten, dort finden sich auch Empfehlungen für Wanderungen und Radtouren unter anderem rund um Friedrichsruh.
Zuvor erschienen: Kalenderblatt: Bahnhof Friedrichsruh, um 1900