Kanzlergeschenke – Neuerscheinung über die Kulturgeschichte(n) des Schenkens
Die schwarzen Felder sind kunstvoll geschnitzt, bieten aber keine sichere Standfläche; die größeren Elfenbein-Figuren überragen ihren Platz und drohen überdies leicht umzukippen – für eine wohlüberlegte Partie ist dieses Schachspiel eher untauglich. Angefertigt wurde es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Indien und war wohl ohnehin nur als repräsentatives Geschenk gedacht. Otto von Bismarck erhielt es zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 1885 von Konsul William Schönlank (1816 – 1897). Ausführlich vorgestellt wird es jetzt in dem Band „Kanzlergeschenke. Kulturgeschichte(n) des Schenkens“, den Fridrun Freise, Thorsten Logge und Ulf Morgenstern, wissenschaftlicher Mitarbeiter unserer Stiftung, herausgegeben haben.
Mit unter anderem diesem Schachspiel, der Grußkarte eines niedersächsischen Landwirts und einem Gedicht wird das politische Ritual des Schenkens exemplarisch ausgeleuchtet und damit auf eine lange Tradition zurückgeblickt: Seit der Antike erhalten Politiker bei Staatsbesuchen Präsente und werden von ihren Bewunderern beschenkt – oder auch von ihren Kritikern. Die Herausgeber erinnern in diesem Zusammenhang an die Gitarre, die der Musiker Udo Lindenberg 1987 dem DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker öffentlichkeitswirksam überreichte, um eine Auftrittsgenehmigung zu erhalten.
Wie allein die zahlreichen in Friedrichsruh gesammelten Exponate bezeugen, wurde der erste Reichskanzler außerordentlich reich beschenkt – von seinem König und Kaiser mit einem großen Wald, von seinen zahlreichen Bewunderern unter anderem mit Porzellan, unzähligen Glückwunschkarten, von denen viele mit selbstgetrockneten Blumen verziert sind, oder auch mit Nahrungsmitteln und Alkoholika, die einst für eine sehr gut gefüllte Speisekammer sorgten. Im Band vorgestellt wird eine Auswahl, die die Verschiedenheit der Schenker und der Geschenke aufzeigt. So begutachtet Jana Matthias das Porträt Wilhelms II., das dieser Bismarck zur Entlassung überreichen ließ und das angesichts des zerrütteten Verhältnisses der beiden mutmaßlich keine große Freude ausgelöst haben dürfte. Justin Reimers ordnet an zwei Beispielen die Verleihung von Ehrenbürgerbriefen in das Phänomen des Bismarck-Kults ein. Auf diese Weise sei zum einen Dankbarkeit für Bismarcks Beitrag zur Gründung des deutschen Nationalstaates ausgedrückt worden. Zum anderen hätten die beteiligten Bürger damit ihr Bedürfnis gestillt, dem Bewunderten nahe zu sein – verbindet doch ein Geschenk denjenigen, der schenkt, mit dem Beschenkten.
Die Aufsätze in diesem Sammelband wurden im Rahmen einer Veranstaltung am Historischen Seminar der Universität Hamburg geschrieben. Die Herausgeber schildern einleitend den Entstehungsprozess, bei dem sie die Studierenden intensiv bei der Suche nach Informationen und dem Schreiben der wissenschaftlichen Texte bis zur Veröffentlichungsreife begleiteten. Die Recherche fand an den Aufbewahrungsorten der ausgewählten „Kanzlergeschenke“ in Friedrichsruh statt – im Museum, in der Stiftungsbibliothek und im Archiv. Abgerundet wird der Band durch zwei Beiträge von Ulf Morgenstern. Er stellt ein mehrteiliges Rauchservice aus Elfenbein und Ebenholz sowie ein Schiffsmodell vor und ordnet sie in ihren historischen Kontext des Kolonialismus ein. Insgesamt zeigt sich, dass die „Kanzlergeschenke“ einen Eindruck der zeitgenössischen Wahrnehmung von Politik und Geschichte vermitteln können.
Das Buch:
Thorsten Logge / Fridrun Freise / Ulf Morgenstern (Hrsg.)
Kanzlergeschenke. Kulturgeschichte(n) des Schenkens
Hamburg 2020 (erhältlich bei der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg)