Modernisierungsschub mit Schattenseiten. Tagungsband über Eingliederung Schleswig-Holsteins in Preußen

Historische Karte der Provinz Schleswig-Holstein aus dem Jahr 1905.

Weder eigenstaatliche Unabhängigkeit noch Integration in das dänische Königreich – für viele deutsch wie dänisch gesinnte Menschen in Schleswig und Holstein folgte auf den Deutsch-Dänischen Krieg 1864 und den Deutschen Krieg 1866 nicht, was sie sich jeweils erträumt hatten. Stattdessen wurden beide Herzogtümer als gemeinsame Provinz in den preußischen Staat integriert. Einen neuen Blick auf diese Entwicklung und den folgenden Modernisierungsschub zwischen Nord- und Ostsee eröffnet der Band „Pflichthochzeit mit Pickelhaube. Die Inkorporation Schleswig-Holsteins in Preußen 1866/67“. Er ist das Ergebnis der Tagung „150 Jahre Schleswig-Holstein in Preußen“, zu der die Abteilung für Regionalgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 2017 in die Räume der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh eingeladen hatte.

Den Beiträgen gemeinsam ist die Feststellung, dass die Inkorporation Schleswig-Holsteins in Preußen aus norddeutscher Sicht zunächst eher eine Zwangs- und weniger eine Liebesheirat war. Für das Herzogtum Lauenburg, das bis 1876 mit Preußen in Personalunion verbunden wurde, geriet die Mitgift zudem teuer: Es musste die 2,5 Millionen dänische Taler aufbringen, die Preußen gemäß der Konvention von Gastein aus dem Jahr 1865 an Österreich zu zahlen hatte, um das kleine Herzogtum übernehmen zu können. „Bei einer Einwohnerzahl von 49.650 Personen bedeutete das rund 50,35 Taler pro Kopf“, schreibt Carsten Walczok.

Im Laufe der folgenden Jahre sollte sich zeigen, dass die Schleswig-Holsteiner von der Eingliederung in Preußen und damit 1871 auch in das Deutsche Reich wirtschaftlich profitierten: Durch Reformen und Ausbau von Verwaltung, Infrastruktur, Wirtschaft und Landwirtschaft traten sie in die Moderne ein, wie Frank Lubowitz feststellt. Die Städte wurden planvoll ausgebaut, Bahnhofsgebäude und Postdirektionen entstanden als neue zentrale Orte der preußischen Provinzstädte. Ein einheitlicher Baustil ist dabei nicht zu erkennen, wie Katharina Priewe unter Hinweis auf verschiedene Architekten feststellt. Wiederholt aber habe sich der in der Hauptstadt bevorzugte Stil durchgesetzt – es berlinere etwas zu stark, zitiert sie eine zeitgenössische Kritik des damaligen Provinzialkonservators Richard Haupt.

Das Oberverwaltungsgebäude der Provinzialregierung in Schleswig wurde ab 1875 als viergeschossiger Dreiflügelbau aus rotem Backstein errichtet und steht in der Tradition der Berliner Schule, schreibt Katharina Priewe. Vorbild war das „Rote Rathaus“ in Berlin. Heute befindet sich in dem Gebäude das Oberlandesgericht (Foto: Störfix, Lizenz: Creative Commons by-sa 3.0 de).

Ein Teil der Provinz blieb vom Aufschwung ausgenommen: Nordschleswig. Dort lebten überwiegend Däninnen und Dänen, die ihrem Traum von einer Vereinigung mit dem Königreich Dänemark treu blieben. Sie hatten für viele Jahre unter den Germanisierungsmaßnahmen der preußischen Verwaltung zu leiden, wie Mogens Rostgaard Nissen und Klaus Tolstrup Petersen erläutern. Eine Volksabstimmung über den endgültigen Grenzverlauf, die Preußen ursprünglich im Prager Frieden von 1866 gegenüber Österreich vertraglich zugesichert hatte, sollte erst 1920 auf der Grundlage des Versailler Vertrags erfolgen.

Aus der Eingliederung Schleswig-Holsteins entstand eine funktionierende Zweckehe, von der auch Preußen profitierte. Wurde der Gebietszugewinn zunächst vor allem als Kompensation für den eigenen Einsatz im Deutsch-Dänischen Krieg gesehen, wie Frank Möller schreibt, rückten bald auch militärische Argumente in den Vordergrund. Bereits 1865 wurde die preußische Flotte von Danzig nach Kiel verlegt. Vor allem festigte die Erweiterung seines Staatsgebiets die politische Stellung Preußens auf dem Weg zur Gründung des kleindeutschen Nationalstaates.

Während die Verbindungen zwischen Preußen und den Schleswig-Holsteinern wuchsen, dauerte es eine Weile, bis Letztere und Otto von Bismarck sich annäherten, wie Tobias Köhler aufzeigt. Bismarck, der von 1865 bis 1876 Minister für Lauenburg war, 1871 den Sachsenwald als Geschenk erhielt und 1890 zum Herzog von Lauenburg erhoben wurde, wusste zunächst mit den Menschen nördlich der Elbe wenig anzufangen. Aber nach einiger Zeit stellte er fest, „die Schleswig-Holsteiner gewinnen bei näherer Bekanntschaft“. Ein ähnlicher Meinungswandel lässt sich auch in den Elbprovinzen feststellen. Zunächst standen sie Bismarck oftmals äußerst reserviert gegenüber, hatte er doch nach dem Deutsch-Dänischen Krieg maßgeblich einen eigenen Staat der Schleswig-Holsteiner verhindert. Aber als er zum „Alten aus dem Sachsenwald“ geworden war, zählten sie ihn in Umfragen als einen der ihren und brachen zu Huldigungsfahrten nach Friedrichsruh auf. Der Bismarck-Mythos begann in den 1890er-Jahren, die Geschichte der komplizierten Beziehungen zwischen Schleswig-Holstein und Preußen zu überdecken.


Oliver Auge / Caroline Elisabeth Weber (Hrsg.)
Pflichthochzeit mit Pickelhaube. Die Inkorporation Schleswig-Holsteins in Preußen 1866/67
Berlin 2020 (Kieler Werkstücke, Reihe A: Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte