Buchpreisbindung und Bismarcks Memoiren. Vor 110 Jahren starb der Verleger Adolf Kröner

Im ersten Paragrafen des Vertrags, den Otto von Bismarck mit Adolf Kröner abschloss, heißt es: „Fürst von Bismarck beabsichtigt, Erinnerungen aus seinem Leben im Umfange von sechs Bänden herauszugeben, deren jeder ungefähr die durchschnittliche Ausdehnung der Bände des Poschinger’schen Bundestagswerks erhalten soll.“ Da der Umfang dieser Bände zwischen 200 und fast 400 Seiten schwankte, war Bismarck durch diese Regelung nur wenig eingeschränkt. (© Otto-von-Bismarck-Archiv Friedrichsruh, M 25)

Im Frühjahr 1890 wurde der Unternehmergeist zahlreicher Verleger von der Aussicht beflügelt, dass Otto von Bismarck die Veröffentlichung seiner Memoiren plane. Über 40 Publikationsangebote und Anfragen, die Übersetzungsrechte zu erwerben, trafen innerhalb weniger Wochen in Friedrichsruh ein. Das Rennen entschied schließlich Adolf Kröner für seine Cotta’sche Buchhandlung, am 6. Juli 1890 wurde der Vertrag unterzeichnet. Bismarck hatte damit einem der, wenn nicht dem namhaftesten Verleger seiner Zeit den Vorzug gegeben.

Adolf Kröner, der vor 110 Jahren, am 29. Januar 1911, wenige Wochen vor seinem 75. Geburtstag verstorben ist, hatte als junger Mensch zunächst gar nicht vor, sein Leben den Büchern zu widmen. Nach dem Abitur zog es ihn 1853 nach Paris, wo er ein Gesangsstudium begann. Seine Pläne, Opernsänger zu werden, gab er aber bald wieder auf und wechselte nach Leipzig, um sich in einer Schauspielausbildung zu versuchen. Aber auch dieses Vorhaben verfolgte er bald nicht weiter. 1855 ging er zurück in seine Geburtsstadt Stuttgart und wurde Lehrling in einer Buchhandlung. Einige Monate später siedelte er für einige Zeit nach München über. Dort sammelte er in einer Universitätsbuchhandlung nicht nur weitere Berufserfahrungen. Er kam auch mit dem Dichterkreis „Krokodile an den Gewässern des heiligen Teiches“ in Berührung, der einem humorvoll-geistreichem Treiben huldigte, wie in einer 1925 erschienenen biografischen Beschreibung nachzulesen ist: In diesem Umfeld habe er Kontakte geknüpft, die er viel später als Verleger noch zu schätzen gewusst habe.

1859, im Alter von 23 Jahren, erleichterte eine private Lebensentscheidung die weitere berufliche Karriere. Kröner heiratete die Tochter des Besitzers einer renommierten Stuttgarter Druckerei, erwarb noch im selben Jahr von seinem Schwiegervater das Unternehmen, eröffnete zusätzlich einen Verlag und baute durch Zukäufe in den folgenden Jahren ein kleines Druckerei- und Verlagsimperium auf. 1888 folgte der Ankauf der Cotta’schen Buchhandlung, die später in dem heute noch tätigen Verlag Klett-Cotta aufging. Kröner reüssierte aber nicht nur als Unternehmer, sondern auch als Interessenvertreter seiner Branche: Von 1882 bis 1888 und noch einmal von 1889 bis 1892 setzte er sich als erster Vorsteher des Börsenvereins der deutschen Buchhändler erfolgreich für deren wirtschaftliche Interessen ein. Er erreichte, dass der Schutz des Buches als Kulturgut als allgemeiner Grundsatz akzeptiert wurde. Zur praktischen Umsetzung dieses Diktums entwickelte Kröner die Buchpreisbindung, die 1888 in der Satzung des Börsenvereins verankert wurde und als eigentlich vereinsinterne Regelung eine lange und umfassende Wirkung entfaltete. 1927 wurde sie um ein Vertragswerk zwischen Buchhändlern und Verlegern ergänzt, 1958 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als zulässige Ausnahme verankert und schließlich – angepasst an das europäische Recht – 2002 in dem Gesetz über die Preisbindung der Bücher festgehalten.

Adolf Kröner. Dieses Porträt ist der Publikation „Deutsche Buchhändler“ entnommen.

Bismarck hatte sich also einen Verleger ausgesucht, der sein Handwerk ebenso verstand wie die Spielregeln der Politik – waren doch die „Gedanken und Erinnerungen“, so der spätere Titel, als politisches Testament (Lothar Gall) gedacht. Erste Überlegungen für diese Publikation reichten bis in die 1870er-Jahre zurück, die Vorarbeiten begannen 1888. Die Pläne konkretisierten sich aber erst nach Bismarcks Entlassung aus seinen Ämtern im März 1890. Er hatte alle Papiere, die in seiner Berliner Wohnung lagerten, einpacken und nach Friedrichsruh bringen lassen, außerdem standen ihm sein Sohn Herbert und sein Mitarbeiter Lothar Bucher unterstützend zur Seite. Daher konnte Kröner bei Vertragsabschluss den Eindruck gewinnen, dass mit der Fertigstellung des Manuskripts bald zu rechnen sei. Der Vertrag sah ein Honorar von 100.000 Mark je Band vor (einschließlich aller Nebenrechte wie Übersetzungen und Lizenzen), vorgesehen waren sechs Bände – dieses Honorar wird von verschiedenen Autoren als eher bescheiden eingeschätzt.

Im Sommer 1892 war die Niederschrift abgeschlossen und Kröner hoffte auf eine baldige Freigabe für die Veröffentlichung. Aber es kam anders: Bismarck begann sich zu sorgen, dass er sich zu freimütig über noch lebende Personen äußere. Dann starb sein Mitarbeiter Lothar Bucher, der ihn bislang tatkräftig unterstützt hatte, und im folgenden Jahr erkrankte auch noch Bismarck selbst. Aber schließlich durfte Kröner, der mehrmals vorstellig geworden war, den ersten Band setzen lassen. Die Druckfahnen trafen im Oktober 1893 in Friedrichsruh ein, wurden von Bismarck korrigiert – und beiseite gelegt. Aus einem tiefsitzenden monarchistischen Gefühl heraus scheine er zeitweise Skrupel gehabt haben, das fertige Manuskript zu veröffentlichen, so die Vermutung von Michael Epkenhans und Eberhard Kolb.

Im vierten Paragrafen heißt es: „Die J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger verpflichtet sich, einzelne Bände oder Theile des Werks auf Wunsch des Fürsten von Bismarck erst nach dessen Tod erscheinen zu lassen und bis dahin unter sicherem Verschluß zu halten.“ (© Otto-von-Bismarck-Archiv Friedrichsruh, M 25)

Kröner blieb nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu üben. Erst mit dem Tod Bismarcks am 30. Juli 1898 sah er endlich den Augenblick gekommen, dessen Memoiren zu veröffentlichen. Anfang August kündigte er in Friedrichsruh den Umbruch des ersten Bandes an. Ein Blick auf die Druckfahnen ließ allerdings Herbert von Bismarck erkennen, dass die Korrekturen seines Vaters nicht berücksichtigt waren. Schnell stellte sich heraus, dass es sich dabei nicht um ein Versäumnis des Verlegers handelte – Bismarck hatte ihm seine Korrekturen nie zugeschickt. Nach einer Überarbeitung erschien schließlich der erste Band der „Gedanken und Erinnerungen“ am 29. November 1898. Es wurde ein für die damalige Zeit gigantischer Erfolg mit allein bis zum Jahresende 500.000 verkauften Exemplaren. Seither sind fast unzählige Auflagen erschienen, bei Cotta die letzte 1941, seitdem weitere bei verschiedenen Verlagen. 2012 erschienen die „Gedanken und Erinnerungen“ in der Reihe Neue Friedrichsruher Ausgabe.

Kröner hätte gerne gleich im Anschluss auch den zweiten Band über die Regierungszeit Wilhelms II. veröffentlicht, aber die Familie von Bismarck zögerte. 1904 ließ sich der Verleger von Herbert von Bismarck schließlich überreden, angesichts der politischen Lage die Veröffentlichung auf die Zeit nach einem Thronwechsel zu verschieben. So kam es, dass Kröner diese zweite Publikation nicht mehr miterlebte. Sie erschien erst 1919, acht Jahre nach seinem Tod.

 

Im Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh wird neben dem Autorenvertrag auch der Briefwechsel zwischen Otto von Bismarck und Adolf Kröner aufbewahrt.

 


Literatur:

Lothar Gall: Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt am Main 1980

Manfred Hank: Kanzler ohne Amt. Fürst Bismarck nach seiner Entlassung 1890 –1898, München 1977

Gerhard Menz (Hrsg.): Deutsche Buchhändler. 24 Lebensbilder führender Männer des Buchhandels, Leipzig 1925.

Otto Pflanze: Bismarck. Der Reichskanzler, München 1998

 

Otto von Bismarck

Gedanken und Erinnerungen

Paderborn 2012 (Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe, Hrsg. von Holger Afflerbach, Konrad Canis, Lothar Gall, Klaus Hildebrand und Eberhard Kolb, bearb. von Michael Epkenhans und Eberhard Kolb)

Diese Ausgabe umfasst beide Bände.