Der vertraute Bruder – Vor 210 Jahren wurde Bernhard von Bismarck geboren
„Lieber Bruder. In dieser scheußlichen Zeit muss man an alten Gewohnheiten festhalten, um sich mit ihr in Widerspruch zu setzen, und darum schreibe ich Dir einen feierlichen Gratulationsbrief zu Deinem Geburtstag. Möge Heil und Segen Dich auf allen Wegen u.s.w.“ Otto von Bismarck musste in diesem Brief vom 22. Juli 1848 nicht ausführen, was diese Zeit aus seiner Sicht so „scheußlich“ machte: Am 18. Mai 1848 hatten sich in der Frankfurter Paulskirche die Abgeordneten des ersten gesamtdeutschen Parlaments versammelt, um über eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines deutschen Nationalstaats zu beraten. Die Brüder hatten zuvor als Abgeordnete im Ersten und Zweiten Vereinigten Preußischen Landtag die Anfänge des deutschen Parlamentarismus mitgestaltet, hielten aber treu zur preußischen Monarchie.
Bernhard von Bismarck wurde am 24. Juli 1810 in Schönhausen/Elbe geboren, fünf Jahre vor seinem Bruder Otto, 1827 kam ihre Schwester Malwine zur Welt. Er verlebte die ersten zehn Jahre seines Lebens auf dem Land, erst in Schönhausen/Elbe, dann auf dem pommerschen Gut Kniephof, bevor er nach Berlin in die Schule geschickt wurde. Sein kleiner Bruder Otto folgte – sechsjährig und unfreiwillig – ein Jahr später. Einige Jahre lebten sie in der elterlichen Stadtwohnung, betreut von einer Haushälterin und einem Hauslehrer, die Eltern waren nur in den Wintermonaten bei ihnen. Während der Vater Ferdinand in den verschiedenen Biografien Otto von Bismarcks als gutmütiger Mensch beschrieben wird, behandelte die Mutter Luise Wilhelmine ihre beiden Söhne mit großer Strenge. Dem 15jährigen Bernhard schrieb sie: „Ich muß es dir vorher sagen, daß, wenn dein Zeugnis zu Michaelis nicht vorzüglich gut ausfällt, du für den kommenden Winter nicht bei uns wohnst, und auch nur selten, und nie ohne [Schuldirektor] H. Plamanns Erlaubnis uns wirst besuchen dürfen.“
Anders als sein Bruder Otto, der Jura-Studium und Referendariat eher lustlos und mit Unterbrechungen nachging, zeigte sich Bernhard zielstrebig. Von 1829 bis 1831 studierte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und der Universität Leipzig Jurisprudenz, 1831 leistete er seinen Wehrdienst ab und absolvierte 1836 in Potsdam sein Referendariat.
1839, nach dem Tod der Mutter, übernahmen beide Brüder vom Vater, der nach Schönhausen zurückzog, die drei pommerschen Güter der Familie, Kniephof, Jarchlin und Külz. Diese waren für die dortigen Verhältnisse mit 550 Hektar Ackerland, Wiesen und Wälder nicht sehr groß und ihre finanzielle Lage zunächst kritisch. Zwei Jahre später teilten sie den Besitz untereinander auf, blieben sich aber verbunden. Als Otto von Bismarck Pommern für seine politische Karriere immer häufiger und länger verließ, schrieben sie sich, wie schon zuvor in den Studienjahren, wieder Briefe und ließen – sofern alles zu entziffern war – einander so Anteil haben: „Sodann suche Deiner Handschrift in Briefen an mich in etwas höherem Grade den Charakter der Deutlichkeit zu geben, und es mir darin gleichzutun“, mahnte Otto schon 1833 den Bruder.
Ebenso wenig wie sein Bruder beschränkte sich Bernhard von Bismarck auf das beschauliche Dasein eines pommerschen Gutsbesitzers. Seit 1840 gehörte er dem Landtag der Provinz Pommern an und wurde im selben Jahr im heimischen Kreis Naugard zum Landrat ernannt. Dieses Amt sollte er bis 1887 innehaben. 1841 heiratete er Friederike Wilhelmine Adelheid (geb. Fanninger), sie verstarb jedoch schon drei Jahre später kurz nach der Geburt des zweiten Sohnes.
Beide Brüder waren nicht gewillt, den „scheußlichen Zeiten“ im Jahr 1848 tatenlos zuzusehen, schon gar nicht vor der eigenen Haustür: In Naugard hatte sich ein Constitutioneller Club gegründet, in dem der politische Aufbruch diskutiert wurde. Landrat Bernhard von Bismarck schritt ein, um „wenigstens extravagante Beschlüsse und Handlungen des Clubs im liberalen Sinne zu verhindern“, wie er Jahre später schilderte. Sein Engagement reichte zudem über den Heimatkreis hinaus: Zusammen mit seinem Bruder Otto und Hans Hugo von Kleist-Retzow deckte er mit einem Wechsel über einige Tausend Taler die Kaution für die konservative Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung), „welche sonst wahrscheinlich hätte bald nach ihrem Erscheinen wieder eingehen müssen“.
Mitten in den politisch unruhigen Zeiten fand Bernhard von Bismarck Zeit für ein neues privates Glück. Im September 1848 heiratete er Malwine von Lettow-Vorbeck, das Paar bekam im Laufe einer langen Ehe zwölf Kinder. Seine Frau wurde später die Tante des 1870 geborenen Paul von Lettow-Vorbeck, der 1904 bis 1907 an der Niederschlagung des Herero- und des Nama-Aufstands in Deutsch-Südwestafrika beteiligt sein wird, die mit dem Tod Zehntausender Afrikanerinnen und Afrikaner endet. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde er zum Kommandeur der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika ernannt. Zur direkten Nachkommenschaft des Paares gehören Klaus von Bismarck, unter anderem von 1961 bis 1976 Intendant des WDR und von 1977 bis 1989 Präsident des Goethe-Instituts, und dessen Bruder Philipp, von 1969 bis 1979 CDU-Bundestagsabgeordneter. Philipp von Bismarck führte sein politisches Engagement Mitte der 1990er-Jahre zurück in das Gutshaus von Külz, heute Kulice, das einst sein Urgroßvater Bernhard hatte ausbauen lassen. Unterstützt von deutschen und polnischen Behörden wurde es 1994/95 restauriert und diente bis 2013 als Sitz der Europäischen Akademie Külz-Kulcie, die sich für die deutsch-polnische Aussöhnung einsetzt. Seit einigen Jahren wird es von der Universität Stettin (Uniwersytet Szczeciński), die nun Eigentümerin ist, als Tagungs- und Bildungsstätte genutzt.
Bernhard von Bismarck blieb – neben seinem Amt als Landrat – bis ins hohe Alter als konservativer Politiker aktiv, von 1851 bis 1852 und von 1870 bis 1888 war er Mitglied im preußischen Abgeordnetenhaus. Am 7. Mai 1893 starb er auf seinem Gut in Külz. Am nächsten Tag schrieb Otto von Bismarck an seinen Sohn Herbert: „Sein Tod reißt immer ein Loch in mein Leben und meine Umgebung, wenn ich auch vom Dasein meines Bruders mehr das Bewußtsein als die körperliche Wahrnehmung hatte.“
Hinweise auf die Biografie Bernhard von Bismarcks finden sich unter anderem in:
Ernst Engelberg, Bismarck. Urpreuße und Reichsgründer, Berlin 1986
Jochen Thies, Die Bismarcks. Eine deutsche Dynastie, München 2013
sowie in den zahlreichen Briefen, die sich die Familienmitglieder schrieben. Einige sind abgedruckt in: Bismarck-Briefe, ausgewählt und eingeleitet von Hans Rothfels, Göttingen 1955, sowie in neun Bänden der von Otto-von-Bismarck-Stiftung herausgegebenen Neuen Friedrichsruher Ausgabe (NFA).