Über die Aktualität der deutschen Kolonialgeschichte
Welche Bedeutung hat die Vergangenheit als Kolonialmacht für Deutschland heute? Während diese Frage lange Jahre eher überhaupt nicht gestellt wurde, ist sie seit drei Jahren im öffentlichen Diskurs virulent – ausgelöst durch Recherchen über Raubkunst in deutschen Museen, wie Prof. Dr. Jürgen Zimmerer bei seinem Vortrag mit dem Titel „Vergangenheit, die nicht vergehen will? 135 Jahre deutsche Kolonialgeschichte“ im Historischen Bahnhof Friedrichsruh berichtete. Er ist Professor für Globalgeschichte mit Schwerpunkt Afrika an der Universität Hamburg und Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die (frühe) Globalisierung“.
Anfänglich habe der Fokus auf den Diebstählen jüdischen Eigentums in der NS-Zeit gelegen, so Zimmerer, aber dann seien die Bestände ethnologischer Sammlungen insgesamt in den Blick geraten. Vor allem ausgelöst worden sei dies durch die Frage, was im neuen Humboldt-Forum in Berlin gezeigt werden wird – rechtmäßig erworbene oder geraubte Kunst? Denn im dort geplanten Ethnologischen Museum sollen unter anderem die Benin-Bronzen ausgestellt werden, die größtenteils zweifelsfrei in Afrika von der britischen Kolonialmacht geraubt und auch von deutschen Sammlungen aufgekauft worden waren.
In einem kurzen Rückblick auf die deutsche Kolonialgeschichte und die Rolle, die insbesondere Hamburger Kaufleute wie Adolph Woermann dabei gespielt haben, zeigte Zimmerer auf, dass die lange erzählte Legende der „guten“ Kolonialmacht einer historischen Überprüfung nicht standhält. So wurden die Kriege des Deutschen Reichs in Südwestafrika (heute: Namibia) und Deutsch-Ostafrika (Region der heutigen Länder Tansania, Ruanda, Burundi) äußerst brutal gegen die einheimische Bevölkerung geführt und zielten auf die Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen. Zuvor war, so Zimmerer unter Hinweis auf die historischen Dokumente, um die Jahrhundertwende die Absicht, die Afrikaner in Afrika in die deutsche Kultur hinein zu assimilieren, einer rassistischen Perspektive gewichen.
Die Debatte darüber, in welcher Weise für die eigene Vergangenheit als Kolonialmacht heute Verantwortung zu übernehmen ist, wird derzeit nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und global geführt. Verhandelt werde damit auch die grundsätzliche Frage, sagte Zimmerer, was Teil der europäischen Geschichte sei und die europäische Identität ausmache.
Aktuelle Literatur zum Thema:
Deutscher Museumsbund e.V.: Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Leitfaden, 2. Fassung, Juli 2017 (Prof. Dr. Jürgen Zimmerer ist Co-Autor)
Bartholomäus Grill: Wir Herrenmenschen. Unser rassistisches Erbe: Eine Reise in die deutsche Kolonialgeschichte, München, Siedler Verlag 2019
Das „Deutsch-Ostafrika-Ehrenmal“ in Aumühle
Eingeweiht am 8. Mai 1955, zeigt diese spätexpressionistische Plastik den behelmten Generalmajor Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1964), flankiert von einem Soldaten der ostafrikanischen Hilfstruppen (links) sowie einem sitzenden indigenen Träger (rechts). Das kolonialrevisionistische Denkmal mystifiziert die vermeintliche Treue tansanischer Afrikaner während des Ersten Weltkriegs zu den deutschen Kolonialtruppen. Tatsächlich aber beruhte Lettow-Vorbecks militärisches Vorgehen auf Terror und Zwang, wie die wissenschaftliche Forschung nachgewiesen hat. Der 85jährige hatte sich selbst an die weitläufig verwandte Familie von Bismarck gewandt, die einen Standort nahe des Restaurants Waldesruh zur Verfügung stellte – an eine Aufstellung dieses Denkmals (das Mitte der 1930er-Jahre in Auftrag gegeben worden war) in einer Großstadt war 1955 schon lange nicht mehr zu denken. Die Figurengruppe steht weiterhin am östlichen Rand des Sachsenwaldes. Der verwickelte Entstehungszusammenhang, die einseitige Botschaft sowie der zunächst kolonial- und später auch zeitgeschichtliche Hintergrund des unkritisch an den Kolonialismus erinnernden Denkmals erschließen sich nicht ohne Kommentierung. (Recherche: Dr. Ulf Morgenstern / Foto: Natalie Wohlleben)