Das Ende des Reichs in der Familie des Reichsgründers. Wahrnehmungen von Revolution und Republik bei den Bismarcks in Friedrichsruh
Mit historischem Lokalkolorit ist die Otto-von-Bismarck-Stiftung in die Veranstaltungen der zweiten Jahreshälfte gestartet. Zum Auftakt blickte Dr. Ulf Morgenstern, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Hause, 100 Jahre zurück und zeigte bei seinem sehr gut besuchten Vortrag auf, wie hier in Friedrichsruh 1918/19 über Revolution und Republik gedacht wurde.
„Wir sind auf alle Fälle ruiniert“, schrieb Marguerite, die verwitwete Schwiegertochter Otto von Bismarcks, am 6. November 1918 an ihre Mutter. Wie fest sie auf diesem Standpunkt mit Blick auf das Ende des Kaiserreichs stand, zeigt ihre umfangreiche Korrespondenz jener Jahre, die Morgenstern erstmals ausgewertet hat. Die Hausherrin, die nach dem Tod ihres Manns 1904 als Kopf der Familie für knapp zwei Jahrzehnte die Verwalterin und Gestalterin des Bismarck-Erbes war, fürchtete in diesen Wochen des Umbruchs, durch „Sozialisierung“ Grundbesitz und Vermögen zu verlieren, und stand der Demokratie denkbar fern. „Ihr Urteil über die Weimarer Republik wurzelte in der Gedankenwelt ihres Schwiegervaters zur Mitte des 19. Jahrhunderts“, so die Einschätzung des Referenten. Dabei blieb es nicht allein bei brieflichen Klagen: Im Juni 1919 begrüßte Marguerite von Bismarck eine Symbolfigur der kaiserlichen Kolonialpolitik, ihren entfernten Verwandten Paul von Lettow-Vorbeck1, in Friedrichsruh. Er war mit einem Freiwilligenkorps von Reichswehrminister Gustav Noske nach Hamburg beordert worden, um einen Hungeraufstand niederzuschlagen, über den Marguerite von Bismarck in ihr Friedrichsruher Tagebuch schrieb: „In Hamburg sollen grosse Unruhen sein wegen Lebensmittelfälschungen, eine Fabrik hat Ratten verarbeitet.“ Ihren Briefkopf ergänzte sie in jenen Tagen sofort um „Großes Hauptquartier“.
Insgesamt falle auf, so Morgenstern, dass unter dem Eindruck der drohenden Enteignung und des Verlusts des gesellschaftlichen Status in den intimen Familienbriefen in Bezug auf die revolutionäre Linke ohne Rücksicht auf adlige Etikette erstaunlich schroff gesprochen wurde. Die Briefe sind unmittelbare Dokumente der Zukunftsängste jener monarchischen und politisch rechts stehenden Kreise, die nur schwer in die Weimarer Republik fanden.
1. Paul von Lettow-Vorbeck war ein Neffe der zweiten Frau von Herbert von Bismarcks Onkel Bernhard von Bismarck, Malwine, geb. Lettow-Vorbeck . Den gesamten Ersten Weltkrieg hindurch hatte er in Deutsch-Ostafrika einen aberwitzigen Kampf gegen englische Truppen geführt, dem mehr als 100.000 afrikanische Zivilisten zum Opfer fielen. Siehe dazu: Tanja Bührer, Afrikanische und deutsche Kriegserfahrungen in Ostafrika während des Ersten Weltkriegs, in: Flavio Eichmann, Markus Pöhlmann, Dierk Walter (Hrsg.), Globale Machtkonflikte und Kriege – Festschrift für Stig Förster zum 65. Geburtstag, Paderborn 2016, S. 211-232.↩