Bismarck als Ratgeber-Reservoir für deutsche Russlandpolitik
„Der größte aller deutschen Russland-Versteher war ohne Zweifel Otto von Bismarck“, schreibt der renommierte Historiker und Publizist Michael Stürmer jüngst in einem hochinteressanten Artikel der „Welt“.
Doch im dezidierten Gegensatz zu den zahlreichen „Russland-Verstehern“ und „Russland-Verklärern“ unserer Tage geht es ihm nicht darum, Deutschlands Verhältnis zu Russland unter Berufung auf den ersten deutschen Reichskanzler von „Schwärmerei und Dämonisierung“, sondern von „Abschreckung und Entspannung“ leiten zu lassen.
In der Tat: Wenn heute von interessierter Seite das Hohe Lied der Bismarck’schen Freundschaft zu Russland gesungen wird, wird nur zu gern ausgeblendet, dass der preußisch-deutsche Staatsmann das autokratische Zarenreich in all‘ seinen Widersprüchen mal als Partner, mal als militärische Bedrohung ansah.
Wenn wir Bismarcks Russlandpolitik heute als Orientierung nehmen wollen, müssen wir zwei Aufgaben lösen. Zunächst, den ‚ganzen‘ Bismarck in den Blick nehmen:
– den Bismarck, der mühsam die russische Sprache erlernte, um als Diplomat auf Posten in St. Petersburg auch mit dem Volk kommunizieren zu können;
– den Bismarck, der Zar Alexander II. als „asiatischen Despoten“ titulierte, obwohl der sich als Preußens „intimsten, wenn nicht alleinigen Freund“ rühmte;
– den Bismarck, der wegen der „Unberechenbarkeit der russischen Politik“ ein Bündnis mit dem autokratischen Zarenreich schloss, um sich vor der „roten Gefahr“ des Sozialismus wie auch des panslawistischen Chauvinismus zu schützen;
– den Bismarck, der Russland mit harter Schutzzollpolitik bekämpfte, um die deutsche Agrarwirtschaft vor unliebsamen Importen zu bewahren;
– den Bismarck, der Russland im Rückversicherungsvertrag machtpolitische Avancen machte, die anderen Abkommen des Deutschen Reichs diametral zuwiderliefen;
– den Bismarck, der Russland am Ende seiner Kanzlerschaft, wenn auch nur als reservatio mentalis, „freie Hand im Osten“ zuzugestehen bereit, um einen etwaigen Zweifrontenkrieg abzuwenden.
Und dann, das ist die zweite Aufgabe, sollten wir entscheiden, ob uns der Preis für die Wiederaufnahme seines Kurses annehmbar erscheint.
Vom Eisernen Kanzler stammt übrigens auch jener Satz, der vielleicht besser als alle Schwärmerei oder Dämonisierung Deutschlands Verhältnis zu Russland bestimmen kann: „Nur soll man nicht glauben, daß angenehme Eindrücke und Sympathien in der Politik maßgebend sind; da entscheiden schließlich doch die Interessen“.
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