Und noch ein Gedicht für Otto von Bismarck…
Auf den ersten Blick sind die Verse scheinbar nur durch den kunstvoll gedruckten Rahmen und die prachtvolle Gestaltung der Initiale von den anderen Dichtungen zu unterscheiden. Denn Gedichte zu Ehren Otto von Bismarcks gibt es unzählige.
So widmete beispielsweise der „Kladderadatsch“ dem „besten Deutschen“ schon 1894 einen Band mit einer Sammlung aller bis zu diesem Zeitpunkt in der Zeitschrift erschienenen Gedichte über Bismarck.[1]
In dem hier vorliegenden lyrischen Werk – Fürst Bismarck. – schildert uns der Autor in 18 Strophen eindrücklich die erst durch Bismarck ermöglichte Reichseinigung anhand der „Germania“, der Personifikation Deutschlands. Diese wird von dem „Gottgesandten“ Otto von Bismarck zu neuer Stärke geführt, woraufhin sie schließlich dem „Helden“ Wilhelm die Kaiserkrone überreichen kann. Doch auch diese Darstellung ist kein Alleinstellungsmerkmal und in ähnlicher Form in anderen Gedichten zu finden. Unterschrieben ist das Gedicht mit dem Namen „Richard von Volkmann-Leander“. Wer aber war dieser Mann?
Aus dem Begleitschreiben des Gedichts, verfasst von seiner Frau Anna von Volkmann (geb. v. Schlechtendal) am 5. März 1891, geht hervor, dass der Name ihres Mannes dem Fürsten Otto von Bismarck möglicherweise nicht unbekannt geblieben sei. Allerdings nicht in Verbindung mit Poesie, sondern mit Chirurgie. Nach einem Blick in den Artikel über Richard von Volkmann in der „Deutschen Biographie“[2] wird klar, dass er einer der renommiertesten Chirurgen des 19. Jahrhunderts gewesen ist. So war er ab März 1867 als ordentlicher Professor an der chirurgischen Universitätsklinik in Halle tätig und wurde zu diesem Zeitpunkt auch dessen Direktor. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen und der Einsatz, beziehungsweise die Verbreitung der „listerschen Methode“[3] trugen maßgeblichen Anteil an seinem Weltruf als für die Medizin – speziell für die Orthopädie – wegweisenden Chirurgen.[4]
Die zweite Begabung des Richard von Volkmann-Leander war die Dichtkunst, welcher er schon als Student nachging. Die Veröffentlichung „Lieder aus der Burschenzeit“ ist zum Beispiel ein Resultat aus dieser Frühphase seines Schaffens.[5]
Im deutsch-französischen Krieg 1870/71, an dem er als Generalarzt teilnahm[6], entstand sein berühmtestes Werk: „Träumereien an französischen Kaminen“. Diese Märchensammlung entstand während der Belagerung von Paris, indem er selbst verfasste Märchen an seine Familie in die Heimat schickte, wo sie von seiner Frau gesammelt und dann unter dem Pseudonym „Richard Leander“ herausgegeben wurden.[7] Der auch in dem uns vorliegenden Gedicht Verwendung findende Namenszusatz „Leander“ entstammt der griechischen Sprache und entspricht etwa dem deutschen Wort Volkmann; ist also eine Übersetzung seines Nachnamens.[8]
Nach seiner Unterschrift auf der letzten Seite des Gedichts ist unter der Rahmenstruktur nur noch der Satz: „Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig.“ zu lesen. Dem bekannten Musikverlag und Buchdruckhaus[9] war Richard von Volkmann verwandtschaftlich verbunden, da seine Mutter die Tochter des Verlegers Gottfried Christoph Härtel war, der das Haus viele Jahre lang leitete. So konnten die Werke des „Richard Leander“ problemlos publiziert werden.[10]
Richard von Volkmann starb im Jahr 1889, also zwei Jahre bevor das Gedicht von seiner Frau an Otto von Bismarck geschickt worden war. In dem Begleitschreiben liefert Anna von Volkmann dann eine Erklärung für jene Verzögerung. Sie führt an, dass ihr Mann glaubte, er könne unbescheiden oder lästig wirken, weshalb er die Versendung seiner Gedichte unterließ. Der Respekt vor der Person Otto von Bismarck und dessen Leistungen, der an dieser Geste des Richard von Volkmann deutlich wird, unterstreicht seine Frau in dem Schreiben mit folgenden Worten: „Mein Mann hat stets die allerhöchste Verehrung und Bewunderung für Ew. Durchlaucht gehabt, […]“.
Im Gedicht selbst lässt Volkmann Otto von Bismarck bereits in der ersten Strophe „hochleben“ und schließt dieses mit einer ähnlichen Zeile: „Fürst Bismarck, lebe hoch!“ In den übrigen Strophen werden besonders Kaiser Wilhelm I. und sein Sohn, der spätere Kaiser Friedrich III., mit positiven Attributen bedacht. Der Chirurg und Dichter stellt sich also als treuer Anhänger der Monarchie und Verehrer der kaiserlichen Herrschaftsfamilie dar. Zwei weitere Gedichte neben Fürst Bismarck., nämlich eines über das Dreikaiserjahr beziehungsweise den Tod Friedrich III. sowie eines über Wilhelm II., können dem Begleitschreiben zugeordnet werden und zeugen von seiner Hochachtung gegenüber jenen Persönlichkeiten.
Das Gedicht Fürst Bismarck spiegelt also einmal die beinahe kultische Verehrung der Person Otto von Bismarck und seiner Leistung der Reichseinigung wieder und zum anderen die Wertschätzung vor dem Aufblühen der ´Germania´; der konstitutionellen Monarchie, vor allem von Wilhelm I., der einzig mit seinem Sohn würdig sei, das Kaiserreich zu lenken. Richard von Volkmann verfasste diese nationalistischen, mit Überhöhungen gespickten Verszeilen seiner Zeit entsprechend; hebt sich aber durch sein Schaffen und sein außergewöhnliches Doppeltalent von den anderen ´Verehrern´ ab. Hinzu kommt die auffällige, aber doch schlicht wirkende Gestaltung der „familienerzeugten“ Druckbögen, die dem Exponat des Monats ein würdiges Aussehen verleihen.
Fürst Bismarck.
Kommt erst die Zeit der höchsten Noth,
Schickt Gott den Rechten Mann:
Der deutsche Kanzler lebe hoch,
Fürst Bismarck, stoßet an.
Jung noch an Jahren, kampfesfroh,
Doch frei an Herz wie Brust,
In schlimmer, jammervoller Zeit
Nach Frankfurt kam er just.
Da sah er dich, Germania,
Du wundervolles Weib,
Mit hellen Flechten, blauem Aug´,
Zuchtvoll an Geist und Leib.
Und doch – zerschlissen und zersetzt
Ihr Kleid – daß Gott erbarm!
Blind und verdrückt, des Schmuckes baar,
Hing ihr die Kron´ am Arm.
Herausgebrochen Perl und Stein,
Viel Königreiche werth, –
Doch trug sie an der Lende noch,
Das breite Deutsche Schwert.
Er rief mit lauter Stimme Schall:
„Her mit dem Hermelin;
„Ich werf´ um Schultern und um Brust
„Der stolzen Herrin ihn.
„Her mit dem Roß, dem besten Roß –
„Ich sag´ Dir´s als ein Mann,
„Ich will Dir zeigen Deutsches Volk,
„Daß sie noch reiten kann!“
Zum Bügel er die Fraue hub –
Durch´s Land ging hell ein Schein: –
„Nun drück´ dem Roß mit Jugendkraft
„Den Sporn, Germania, ein!“
Hoch auf zum Sprung der Renner stieg,
Fort gings von Ruhm zu Ruhm,
Nach Düppel und zum Alfensund,
Nach Königgrätz und Chlum.
Und weiter über den grünen Rhein
In stürmischem Kaiserritt,
Ganz Deutschland jauchzend hinterdrein
In Trab, Galopp und Schritt.
Und hart an ihr, in weißem Bart,
Fest auf dem Sattelsitz,
Der König Wilhelm, jung an Muth,
Und neben ihm der Fritz.
Kein Mann war je so gut als der,
Kein Mann so tugendlich,
Kein Mann so lieb und jugendschön,
So treu, so ritterlich! –
Hei! Weißenburger Traubenblut,
Hei! Straßburg, Metz, Sedan:
Da brach bei Blitz und Donnerschall
Des Corsen ehrner Bann.
Und weiter vor die Seinestadt:
„Versailles, du Sündenpfuhl –
„Nun setzt mir hier ins Königsschloß
„Den deutschen Kaiserstuhl!
„Her mit dem Goldschmied, Meister werth,
„Die Kaiserkrone hier –
„Von Perl und Stein, was kostbar ist,
„Das Schönste ziemet ihr!“
Vom Sattel sprang Germania:
Zu König Wilhelm trat
Die hehre Frau und sprach zu ihm
In Purpurschmuck und Staat:
„So hochgefürstet ist kein Mann
„Als Du auf weiter Welt:
„Setz´ dir die Kaiserkrone auf,
„Du hochgemuther Held!“
Drum fang´ ich wohl von vorne an,
Und ruf´ es einmal noch:
Der Kanzler unsres Deutschen Reichs,
„Fürst Bismarck, lebe hoch!“ – –
Richard von Volkmann-Leander
[1] Horst Kohl (Hg.): Bismarck-Gedichte des Kladderadatsch, Berlin 1894. Vgl. weitere Gedichtbände über Otto-von-Bismarck: Pauls Arras: Bismarck-Gedichte, Leipzig 1898.; Rudolf Flex: Bismarck-Gedichte, Eisenach 1915.
[2] Ernst Gurlt „Volkmann, Richard von“, in: Allgemeine Deutsche Biographie (1896), S. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd11909892X.html?anchor=adb. (aufgerufen am 09.08.2013)
[3] Joseph Lister nahm an, dass die hohe Mortalitätsrate bei Operationen durch Keime in der Wunde verursacht wurde, weshalb er diese durch den Einsatz von Karbolsäure sowohl im Operationssaal als auch an der Wunde selbst abzutöten versuchte. Richard von Volkmann erkannte die Wirksamkeit dieser Methode und setzte sich für dessen Anerkennung ein. Söll, Ute: Leben und Wirken des Hallenser Chirurgen Richard von Volkmann, Diss., Halle 1996, S. 25f.
[4] Ebd., S. 20ff.
[5] Ebd., S 46.
[6] Siehe Anmerkung 2.
[7] Söll: Leben und Wirken, S. 46.
[8] Pape, Wilhelm; Benseler, Gustav: Wörterbuch der griechischen Eigennamen, 2. Bd., ND der dritten Auflage, Graz 1959, S. 779.
[9] Hase, O., „Breitkopf und Härtel“, in: Allgemeine Deutsche Biographie (1876), S. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/sfz98538.html#adb. (aufgerufen am 09.08.2013)
[10] Söll: Leben und Wirken, S. 46.