Bismarckbilder aus dem Sachsenwald
Objekt: Konvolut von 20 Fotografien, aufgezogen, in blauem Schuber
Fotograf: Arthur Mennell
Verlag: Literarische Gesellschaft Leipzig
Erscheinungsjahr: 1892
Text: Andreas von Seggern.
Bereits vor seiner Entlassung aus dem Amt des Reichskanzlers zählte Bismarck zu den begehrtesten Motiven der Porträtfotografie. Die persönliche wie politische Zäsur des Jahres 1890 markierte jedoch auch bildnerisch einen Wendepunkt.
Eine wahre Flut von Porträt- und – immer stärker – auch Momentaufnahmen ergoss sich in die Öffentlichkeit, die „unersättlich in dem Verlangen nach Abbildungen des großen Mannes“ schien – zumindest in den Augen von Bismarcks „Hofblatt“, den „Hamburger Nachrichten“. Unzählige Fotografen, insbesondere aus der nahe gelegenen Elbmetropole, lauerten dem „Alten vom Sachsenwalde“ bei jeder nur denkbaren Gelegenheit auf und boten ihre Schnappschüsse auf dem wachsenden Markt der Bismarckverehrung an.
Unter ihnen Arthur Mennell, eine „verkrachte Existenz“ (Lothar Machtan), die sich als Fotograf und Literat durchs Leben schlug und seit 1890, gemeinsam mit der amerikanischen Werner Company, ein literarisch-fotografisches Denkmal für Otto von Bismarck vorbereitete. Zu diesem Zwecke hielt er sich in aller Regel in Sichtweite des Ex-Kanzlers auf, freilich ohne Bismarck persönlich nahe kommen zu können.
Den weiteren Verlauf von Mennells Karriere schildert der Bremer Historiker Lothar Machtan in seinem 1998 erschienenen Buch „Bismarcks Tod und Deutschlands Tränen“ ebenso detailreich wie spannend. Deutlich wird, dass die Gier nach Bildnissen Bismarcks vor allem nach 1890 bereits mehr mit einer zum Mythos stilisierten, denn mit der realen historischen Gestalt zu tun hatte. Einen ersten Ertrag seiner Arbeit in Friedrichsruh lieferte Mennell 1892 mit der Veröffentlichung einer Sammlung von kommentierten Photokarten, die – in einem blauen Schmuckschuber geliefert – ein Bild der Volkstümlichkeit verbreiten sollten, das der Autor selbst durch die pathetische Kommentierung seines Materials konterkarierte. Bezeichnend vielleicht die Kommentierung des vierten Bildes der Reihe: „Das ist ein Stück Sachsenwald mit den „beiden Bismarcks“. Der „Alte“ hat wieder den Stock zwischen den Armen. Und so wie er hier dahingeht in nicht zu brechender Gradheit, hat ihn das Bild seiner würdig festgehalten. (…)“.
Dem heutigen Betrachter zeigen sich diese, wie auch Dutzende weiterer überlieferter Bismarck-Fotografien aus seinen letzten Lebensjahren, als beispiellose Folge von „mementi mori“ eines ebenso bedeutenden wie umstrittenen Staatsmannes, an dessen „Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit“ (Susan Sontag) wir trotz aller Versuche, ihn mythisch zu überhöhen, auch heute noch bildlich teilhaben können. Oder wie es Walther Benjamin in seinem Hauptwerk „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit“ formuliert hat: „Im flüchtigen Ausdruck eines Menschengesichts winkt aus den frühen Photographien die Aura zum letzten Mal. Das ist es, was deren schwermutvolle und mit nichts zu vergleichende Schönheit ausmacht.“